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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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müßte es dem Direktor anzeigen.«
    »Wenn ich mir auch wirklich weh getan hätte, dann würde ich doch niemand etwas davon merken lassen. Das steht
    doch bombenfest.«
    »Nun also, was ist denn los?«
    »Ach, laßt mich in Ruhe! ... Ob ich daran denke oder nicht ... Was geht ihn das an? Wozu soll ich daran denken?
    Laßt mich in Ruhe!« rief er nicht dem Hofmeister, sondern der ganzen Welt zu.

20
    Stepan Arkadjewitsch verbrachte in Petersburg, wie bei früheren Aufenthalten, so auch diesmal seine Zeit
    keineswegs müßig. Einerseits nahmen ihn seine geschäftlichen Angelegenheiten in Anspruch, das heißt die Scheidung
    seiner Schwester und die Bemühung um eine Stelle für sich; außerdem aber fühlte er, wie bei früheren Aufenthalten
    in Petersburg, das Bedürfnis, sich, wie er sagte, nach dem stockenden Moskauer Leben wieder aufzufrischen.
    Moskau war trotz seiner cafés chantants 1 und
    seiner Omnibusse doch eigentlich nur ein stehender Sumpf. Diese Empfindung hatte Stepan Arkadjewitsch stets. Wenn
    er eine Weile in Moskau und namentlich im Kreise seiner Familie gelebt hatte, so fühlte er, daß sein Lebensmut zu
    sinken anfing; und wenn er lange, ohne einmal fortzureisen, in dieser Stadt gelebt hatte, dann kam es so weit, daß
    er sich über die Verstimmungen und Vorwürfe seiner Frau, über die Gesundheit und Erziehung der Kinder und über
    kleine dienstliche Angelegenheiten zu beunruhigen begann; sogar über seine Schulden machte er sich dann Gedanken.
    Aber er brauchte nur nach Petersburg zu kommen und dort ein Weilchen in seinem Umgangskreise zu verkehren, wo man
    lebte, wirklich lebte und nicht nur vegetierte wie in Moskau, so waren alle diese trüben Gedanken verschwunden und
    wie Wachs am Feuer dahingeschmolzen.
    Seine Frau? ... Erst heute hatte er ein Gespräch mit dem Fürsten Tschetschenski gehabt. Dieser Fürst hatte Frau
    und Kinder, erwachsene Söhne im Pagenkorps; aber daneben hatte er noch eine uneheliche Frau und auch von dieser
    mehrere Kinder. Und obgleich auch die erste Familie ganz nett und angenehm war, so fühlte sich der Fürst
    Tschetschenski doch in der zweiten Familie glücklicher. Er hatte sogar seinen ältesten Sohn in die zweite Familie
    eingeführt und äußerte sich zu Stepan Arkadjewitsch dahin, er fände, daß das seinem Sohne nützlich und für seine
    Entwicklung zuträglich sei. Was hätte man wohl dazu in Moskau gesagt?
    Die Kinder? ... In Petersburg waren die Kinder den Vätern nicht hinderlich, das Leben zu genießen. Die Kinder
    wurden in Instituten erzogen, und man hatte hier nicht die wunderliche, in Moskau immer mehr um sich greifende
    Anschauung (Beispiel: Lwow), daß den Kindern alle Annehmlichkeiten des Lebens zukämen und auf das Teil der Eltern
    nur die Arbeit und die Sorgen fielen. Hier hatte man Verständnis dafür, daß der Mensch verpflichtet sei, für sich
    selbst zu leben, und zwar so, wie ein gebildeter Mensch eben leben muß.
    Der Dienst? ... Der Dienst war hier gleichfalls nicht jene unerbittliche, hoffnungslose Tretmühle, in der man
    sich in Moskau abarbeitete; hier konnte man an der dienstlichen Tätigkeit Geschmack finden. Eine Begegnung in der
    Gesellschaft, eine erwiesene Gefälligkeit, ein treffendes Witzwort, die Kunst, allerlei Personen komisch
    nachzuahmen – das genügte, und man wurde auf einmal befördert, so wie dieser Brjanzew, mit dem Stepan Arkadjewitsch
    gestern zusammengetroffen war und der jetzt eines der höchsten Ämter bekleidete. Einer derartigen dienstlichen
    Tätigkeit konnte man Geschmack abgewinnen.
    Ganz besonders aber wirkte die Auffassung, die man in Petersburg für Geldsachen hatte, auf Stepan Arkadjewitsch
    beruhigend. Bartnjanski, der, nach seiner Lebensweise zu urteilen, jährlich mindestens fünfzigtausend Rubel
    verbrauchte, hatte gestern über diesen Punkt ihm gegenüber eine bemerkenswerte Äußerung getan.
    Während sie sich vor dem Mittagessen miteinander unterhielten, hatte Stepan Arkadjewitsch zu Bartnjanski
    gesagt:
    »Du bist ja wohl mit Mordwinski näher bekannt; da könntest du mir einen großen Dienst erweisen, wenn du ihm ein
    Wörtchen zu meinen Gunsten sagen wolltest. Es ist da eine Stelle, die ich gern haben möchte, eine Stelle als
    Mitglied der Agentur ...«
    »Laß gut sein; das kann ich doch nicht behalten ... Aber wie bist du denn auf den wunderlichen Einfall gekommen,
    dich an den Eisenbahngeschäften solcher Juden beteiligen zu wollen? ... Man mag sagen, was man will, es bleibt doch
    immer eine

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