Anna Karenina
unsaubere Sache.«
Stepan Arkadjewitsch setzte ihm nicht auseinander, daß dies eine hochwichtige Tätigkeit sei; denn dafür hätte
Bartnjanski doch kein Verständnis gehabt.
»Ich brauche Geld. Ich weiß nicht, wovon ich leben soll.«
»Aber du lebst ja doch!«
»Das wohl; aber ich habe Schulden.«
»Ach, wirklich? Viel?« fragte Bartnjanski teilnahmsvoll.
»Sehr viel, zwanzigtausend.«
Bartnjanski lachte laut auf.
»O du glücklicher!« sagte er. »Ich habe anderthalb Millionen Schulden und gar kein Vermögen, und wie du siehst,
bekomme ich es doch noch fertig, zu leben!«
Und selbst wenn Stepan Arkadjewitsch den Worten Bartnjanskis nicht geglaubt hätte, so bewiesen ihm die
Tatsachen, daß dergleichen wirklich möglich war. Schiwachow hatte dreihunderttausend Rubel Schulden und keine
Kopeke in seinem Besitze, und doch lebte er, und noch dazu wie! Den Grafen Kriwzow betrachtete alle Welt schon seit
langer Zeit als einen toten Mann, und doch hielt er sich zwei Mätressen. Petrowski hatte ein Vermögen von fünf
Millionen durchgebracht, und trotzdem lebte er in demselben Stil weiter, bekleidete sogar ein hohes Amt im
Finanzministerium und bezog ein Gehalt von zwanzigtausend Rubeln.
Aber außerdem pflegte Petersburg auch in körperlicher Hinsicht wohltätig auf Stepan Arkadjewitsch zu wirken. Es
verjüngte ihn geradezu. In Moskau betrachtete er manchmal nachdenklich im Spiegel sein ergrauendes Haar, schlief
nach dem Mittagessen, reckte und streckte träge die Glieder, ging langsamen Schrittes und schwer atmend die Treppe
hinauf, langweilte sich in Gesellschaft junger Frauen und tanzte nicht auf Bällen. In Petersburg dagegen hatte er
immer das Gefühl, als sei er zehn Jahre jünger geworden.
Er erlebte an seiner eigenen Person in Petersburg, was ihm noch gestern der sechzigjährige Fürst Peter Oblonski,
der soeben aus dem Auslande zurückgekehrt war, über sich selbst erzählt hatte.
»Wir verstehen hier nicht zu leben«, hatte Peter Oblonski gesagt. »Wirst du es glauben? Ich habe den Sommer in
Baden-Baden verlebt und bin mir da wirklich ganz wie ein Jüngling vorgekommen. Sowie ich ein junges Frauenzimmer
sah, geriet ich in Aufregung ... Man speist mit Genuß, man trinkt sein Fläschchen Wein, man fühlt sich kräftig und
unternehmungslustig. Nun kam ich wieder nach Rußland – ich mußte zu meiner Frau, und noch dazu aufs Land – na, du
wirst es gar nicht glauben, nach zwei Wochen zog ich den Schlafrock an und hörte auf, mich zum Essen umzukleiden.
Ein Gedanke an junge Weiber kam mir überhaupt nicht mehr in den Kopf. Ich war vollständig ein Greis geworden, und
das einzige, was mir übrigblieb, war, für mein Seelenheil zu sorgen. Da reiste ich wieder weg nach Paris – gleich
kam ich wieder in Ordnung.«
Stepan Arkadjewitsch empfand genau denselben Unterschied in seinem Befinden wie Peter Oblonski. In Moskau wurde
er so matt und mutlos, daß, wenn er lange ununterbrochen dort gelebt hätte, er wirklich am Ende noch dazu gekommen
wäre, sich mit der Rettung seiner Seele zu beschäftigen; in Petersburg dagegen fühlte er sich wieder als
anständiger Mensch.
Zwischen der Fürstin Betsy Twerskaja und Stepan Arkadjewitsch bestand seit geraumer Zeit ein sehr merkwürdiges
Verhältnis. Stepan Arkadjewitsch machte ihr immer in scherzhafter Weise den Hof und sagte ihr, gleichfalls in
scherzhafter Weise, die unanständigsten Dinge, woran sie, wie er wußte, ganz besonderen Geschmack fand. Als Stepan
Arkadjewitsch am Tage nach seinem Gespräche mit Karenin ihr einen Besuch machte, fühlte er sich in hervorragendem
Maße jugendlich und verstieg sich infolgedessen in seinem scherzhaften Courschneiden und in seinem gewagten
Geschwätze dermaßen, daß er zuletzt nicht mehr wußte, wie er den Rückzug bewerkstelligen sollte, da sie
unglücklicherweise gar nicht sein Geschmack, vielmehr ihm geradezu zuwider war. Daß dieser Ton zwischen ihnen
üblich geworden war, kam nur daher, daß sie selbst daran außerordentliches Gefallen fand. So war er denn heilfroh,
als die Ankunft der Fürstin Mjachkaja ihrem Zwiegespräch ein Ende machte.
»Ah, sind Sie auch da?« sagte sie, als sie ihn erblickte. »Nun, wie geht es Ihrer armen Schwester? Sie brauchen
mich gar nicht so anzusehen«, fügte sie hinzu. »Seitdem alle über sie hergefallen sind, alle die Menschen, die
tausendmal schlechter sind als sie, seitdem finde ich, daß sie ganz recht gehandelt hat. Ich kann es Wronski
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