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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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nicht
    verzeihen, daß er mich nicht benachrichtigte, als sie in Petersburg war. Ich hätte sie besucht und sie überallhin
    mitgenommen. Bitte, bestellen Sie ihr meine herzlichsten Grüße. Und nun erzählen Sie mir von ihr ein bißchen.«
    »Ja, sie befindet sich in einer schwierigen Lage; sie ...«, begann Stepan Arkadjewitsch, der in seiner
    Harmlosigkeit die Worte der Fürstin Mjachkaja: »Erzählen Sie mir von Ihrer Schwester«, für bare Münze nahm. Aber
    nach ihrer Gewohnheit unterbrach ihn die Fürstin Mjachkaja sofort und fing selbst zu reden an.
    »Sie hat getan, was außer mir alle tun, aber verheimlichen; sie aber wollte nicht heucheln, und daran hat sie
    recht gehandelt. Und noch mehr ist es zu billigen, daß sie Ihrem halbverrückten Schwager davongegangen ist. Sie
    werden mir das nicht übelnehmen. Alle Leute haben immer gesagt, er wäre ein kluger, kluger Mann; nur ich habe stets
    gesagt: er ist dumm. Jetzt, wo er sich mit Lydia Iwanowna und mit diesem Menschen, dem Landau, eingelassen hat,
    sagen sie es alle, daß er halb verrückt ist, und so sehr ich mich sonst freue, anderer Meinung zu sein als alle, so
    ist es mir doch diesmal nicht möglich.«
    »Aber erklären Sie mir, bitte, was das zu bedeuten hat«, sagte Stepan Arkadjewitsch. »Gestern war ich in der
    Angelegenheit meiner Schwester bei ihm und bat ihn um eine entscheidende Antwort. Aber er gab sie mir nicht,
    sondern sagte, er wolle es sich überlegen, und heute erhielt ich nun statt einer Antwort eine Einladung für den
    heutigen Abend zu der Gräfin Lydia Iwanowna.«
    »Na, da haben wir's, da haben wir's!« rief die Fürstin Mjachkaja frohlockend. »Sie wollen Landau fragen, was der
    dazu sagt.«
    »Was heißt das: Landau fragen? Wozu? Wer ist dieser Landau?«
    »Wie? Sie kennen Jules Landau nicht? Le fameux Jules Landau, le clairvoyant? 2 Er ist gleichfalls halb verrückt; aber von dem hängt nun das Schicksal Ihrer
    Schwester ab. Sehen Sie, das kommt davon, wenn man in der Provinz lebt; Sie wissen ja von gar nichts. Also dieser
    Landau war Verkäufer in einem Ladengeschäft in Paris und wollte einmal einen Arzt befragen. In dem Wartezimmer bei
    dem Arzte schlief er ein und begann im Schlafe allen Patienten Ratschläge zu erteilen, höchst verwunderliche
    Ratschläge. Dann hörte Frau Meledinskaja (Sie wissen wohl: die Frau von Jegor Meledinski, dem Kranken), die hörte
    von diesem Landau und ließ ihn zu ihrem Manne kommen. Er unternahm es nun, ihn zu heilen. Meiner Ansicht nach hat
    er ihm nicht den geringsten Nutzen gebracht; denn er ist noch gerade ebenso gelähmt wie vorher; aber sie glauben an
    ihn und schleppen ihn überallhin mit sich. Auch nach Rußland haben sie ihn mitgebracht. Hier hatte er nun
    gewaltigen Zulauf, und er nahm Unzählige in seine Behandlung. Die Gräfin Bessubowa ist von ihm geheilt worden und
    hat ihn so in ihr Herz geschlossen, daß sie ihn als Sohn angenommen hat.«
    »Wie ist das zu verstehen: als Sohn angenommen?«
    »Ganz einfach, sie hat ihn eben adoptiert. Er ist jetzt nicht mehr Herr Landau, sondern Graf Bessubow. Aber
    darum handelt es sich augenblicklich nicht; ich wollte sagen: Lydia (die ich sehr gern habe; aber sie ist nicht
    ganz richtig im Kopfe) hat sich selbstverständlich nun auch in den Bann dieses Landau begeben, und ohne seine
    Mitwirkung trifft weder sie noch Alexei Alexandrowitsch irgendeine Entscheidung, und darum liegt das Schicksal
    Ihrer Schwester jetzt in den Händen dieses Landau, alias Grafen Bessubow.«
Fußnoten
    1 (frz.) Tingeltangels.
    2 (frz.) Den berühmten Jules Landau, den
    Hellseher?

21
    Nachdem Stepan Arkadjewitsch bei Bartnjanski vorzüglich gegessen und eine tüchtige Menge Kognak getrunken hatte,
    traf er nur wenig nach der ihm angegebenen Zeit in dem Hause der Gräfin Lydia Iwanowna ein.
    »Wer ist noch bei der Gräfin? Der Franzose?« fragte er den Pförtner, als er den ihm wohlbekannten Überzieher
    Alexei Alexandrowitschs und einen sonderbaren, naiv wirkenden Überzieher mit Agraffen bemerkte.
    »Alexei Alexandrowitsch Karenin und Graf Bessubow«, antwortete der Pförtner in strengem Tone.
    ›Also hat es die Fürstin Mjachkaja richtig getroffen‹, dachte Stepan Arkadjewitsch, während er die Treppe
    hinaufstieg. ›Sonderbar! Übrigens wäre es vielleicht ganz zweckmäßig, wenn ich näher mit ihr bekannt zu werden
    suchte. Sie hat einen großen Einfluß. Wenn sie sich bei Pomorski für mich verwendete, dann hätte ich die Stelle in
    der Tasche.‹
    Es war

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