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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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eifersüchtig; ihre Eifersucht gründete sich nur auf die Tatsache der Verminderung seiner Liebe zu
    ihr. Da sie noch keinen Gegenstand für ihre Eifersucht hatte, so suchte sie nach einem solchen. Bei dem
    unbedeutendsten scheinbaren Anzeichen übertrug sie ihre Eifersucht von einem Gegenstand auf einen anderen. Bald war
    sie auf jene Frauenspersonen geringeren Standes eifersüchtig, mit denen in Beziehung zu treten ihm durch seine
    Verbindungen in der Welt der Junggesellen so leicht war; dann wieder auf Damen der vornehmen Gesellschaft, mit
    denen er zusammentreffen konnte; dann auf ein Gebilde ihrer Phantasie, ein junges Mädchen, das er heiraten wolle,
    sobald er die Beziehungen zu ihr selbst werde abgebrochen haben. Und mit dieser Form der Eifersucht quälte sie sich
    am allermeisten, weil er selbst einmal in einem Augenblick der Offenherzigkeit unvorsichtigerweise zu ihr geäußert
    hatte, seine Mutter habe für sein Seelenleben so wenig Verständnis, daß sie sich erlaubt habe, ihm zu einer Heirat
    mit der Prinzessin Sorokina zuzureden.
    Infolge dieser Eifersucht hatte Anna einen innerlichen Grimm gegen ihn gefaßt und suchte in all und jedem nach
    Anlässen, ihm zu zürnen. An allem, was ihre Lage Peinliches mit sich brachte, maß sie ihm die Schuld bei. Den
    qualvollen Zustand des Wartens, den sie, gleichsam zwischen Himmel und Erde schwebend, in Moskau durchmachte,
    Alexei Alexandrowitschs Langsamkeit und Unentschlossenheit, ihre Vereinsamung, alles legte sie ihm zur Last. Wenn
    er sie wirklich liebte, meinte sie, so würde er das Peinliche ihrer Lage in seinem ganzen Umfange begreifen und sie
    daraus erlösen. Daran, daß sie in Moskau und nicht auf dem Lande wohnte, war auch wieder er, nur er, schuld. Denn
    er, meinte sie, fühlte sich außerstande zu leben, wenn er sich auf dem Lande vergraben solle, während doch ein
    solches Leben ihrem eigenen Wunsche entspreche. Er verlange durchaus nach Geselligkeit und habe sie deshalb in
    diese schreckliche Lage gebracht, deren Peinlichkeit er nicht begreifen wolle. Und auch daran war er, er, schuld,
    daß sie für immer von ihrem Sohne getrennt war.
    Selbst die seltenen Augenblicke der Zärtlichkeit, die in ihrem Zusammenleben vorkamen, dienten nicht dazu, Anna
    zu beruhigen; denn in seiner Zärtlichkeit gewahrte sie jetzt einen Unterton von Ruhe und Besitzgefühl, der früher
    nicht vorhanden gewesen war und von dem sie sich verletzt fühlte.
    Die Abenddämmerung war schon angebrochen. Anna war allein zu Hause und wartete auf Wronskis Rückkehr von einem
    Junggesellenmahl, zu dem er gefahren war. Während sie in seinem Arbeitszimmer auf und ab ging (es war dies das
    Zimmer, wo der Straßenlärm am wenigsten zu hören war), überdachte sie in allen Einzelheiten den Hergang eines
    Streites, den sie gestern mit Wronski gehabt hatte. Indem sie von den beleidigenden Worten, die er bei dem Streite
    gebraucht hatte und die in ihrem Gedächtnisse hafteten, immer rückwärts schritt zu dem, was ihr Anlaß gewesen war,
    gelangte sie schließlich zu dem Ausgangspunkt des Gespräches. Sie konnte es lange nicht glauben, daß der Streit von
    einem so harmlosen Gegenstande, der für keinen von ihnen beiden Herzenssache war, seinen Anfang genommen hatte. Und
    dennoch war es wirklich der Fall gewesen. Alles war daher gekommen, daß er über die Mädchengymnasien, die er für
    überflüssig hielt, gespottet hatte, während sie für diese Schulen eingetreten war. Er hatte sich über das gesamte
    weibliche Bildungswesen abfällig geäußert und gesagt, für Hanna, die kleine Engländerin, deren sich Anna angenommen
    hatte, seien physikalische Kenntnisse völlig entbehrlich.
    Dadurch hatte sich Anna gekränkt gefühlt. Sie hatte darin eine geringschätzige Hindeutung auf ihre eigene
    Tätigkeit erblickt. Und sie hatte eine Erwiderung gesucht und ausgesprochen, die ihm eine Strafe für den Schmerz
    sein sollte, den er ihr zugefügt hatte.
    »Ich erwarte nicht«, hatte sie gesagt, »daß Sie mich und meine Empfindungen mit solchem Zartgefühl behandeln,
    wie es jemand, der wahrhaft liebt, tun würde; aber ich hatte doch die einfachste Höflichkeit erwartet.«
    Und er war wirklich vor Ärger rot geworden und hatte irgendeine unfreundliche Antwort gegeben. Sie erinnerte
    sich nicht mehr, was sie ihm darauf entgegnet hatte, sondern nur, daß er dann, offenbar in der Absicht, ihr
    gleichfalls weh zu tun, gesagt hatte:
    »Ihre besondere Vorliebe für dieses junge Mädchen gefällt mir

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