Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
Vom Netzwerk:
nicht darüber nach; aber obgleich er es in seinem tiefsten Innern niemals gegen sich selbst aussprach und keinerlei Beweise, ja nicht einmal Verdachtsgründe dafür hatte, war er doch mit zweifelloser Sicherheit davon überzeugt, daß er ein betrogener Ehemann war, und war darüber tief unglücklich.
     
    Wie oft hatte Alexei Alexandrowitsch während seines achtjährigen glücklichen Zusammenlebens mit seiner Frau im Hinblick auf fremde treulose Ehefrauen und betrogene Ehemänner bei sich selbst gesagt: ›Wie kann man es nur so weit kommen lassen? Wie kann man nur eine so greuliche Lage fortdauern lassen, statt ihr mit starker Hand ein Ende zu machen?‹ Aber jetzt, wo dieses Unglück sein eigenes Haupt betroffen hatte, dachte er nicht daran, dieser Lage ein Ende zu machen, ja, er wollte sie überhaupt nicht kennen, wollte sie ebendeshalb nicht kennen, weil sie gar zu schrecklich, gar zu widernatürlich war.
     
    Seit seiner Rückkehr aus dem Auslande war Alexei Alexandrowitsch zweimal im Landhause gewesen. Das eine Mal hatte er dort zu Mittag gegessen, das andere Mal einen Abend mit Gästen dort verlebt; aber übernachtet hatte er dort nie, was er doch in früheren Jahren zu tun gewohnt gewesen war.
     
    Der Tag des Rennens war für Alexei Alexandrowitsch besonders stark besetzt; er hatte sich schon am Morgen einen genauen Tagesplan entworfen und beschlossen, gleich nach einem frühen Mittagessen zu seiner Frau nach dem Landhause zu fahren und von dort zum Rennen, für welches das Erscheinen des ganzen Hofes angesagt war und bei dem er daher auch anwesend sein mußte. Zu seiner Frau wollte er deswegen heranfahren, weil er sich vorgenommen hatte, sie des Anstandes wegen einmal in der Woche zu besuchen. Außerdem mußte er ihr an diesem Tage, als dem fünfzehnten des Monats, der eingeführten Ordnung gemäß das Wirtschaftsgeld einhändigen.
     
    Wie gewöhnlich hielt er seine Gedanken in strenger Zucht und gestattete ihnen, während er das alles in bezug auf seine Frau überlegte, nicht, sich über diese Grenze hinaus mit Dingen, die seine Frau betrafen, zu beschäftigen.
     
    Den Vormittag über hatte Alexei Alexandrowitsch außerordentlich viel zu tun. Tags zuvor hatte ihm die Gräfin Lydia Iwanowna eine Schrift eines berühmten, zur Zeit sich in Petersburg aufhaltenden Chinareisenden zugesandt, nebst einem Briefe, in dem sie ihn bat, den Reisenden, als einen in vieler Hinsicht interessanten und wertvollen Mann, persönlich zu empfangen. Alexei Alexandrowitsch hatte am Abend nicht mehr Zeit gehabt, die Schrift ganz durchzulesen, und las sie nun am Morgen zu Ende. Dann erschienen Bittsteller; es begannen die Vorträge, die Empfänge, die Beschlußfassung über Ernennung und Absetzung von Beamten, über zu erteilende Gratifikationen, Pensionen, Gehälter; dann mußte mancherlei Briefwechsel erledigt werden: lauter Handwerksarbeit, wie Alexei Alexandrowitsch sich ausdrückte, die sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Darauf folgte eine persönliche Angelegenheit: der Besuch seines Arztes und der seines Geschäftsführers. Dieser nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Der Geschäftsführer übergab ihm nur die nötigen Gelder und erstattete einen kurzen Rechenschaftsbericht über den Stand der Vermögensangelegenheiten; dieser Stand war nicht besonders erfreulich, da im letzten Jahre infolge der häufigen Reisen die Ausgaben ungewöhnlich groß gewesen waren, so daß sich ein Fehlbetrag ergab. Dagegen nahm der Arzt, der einer der angesehensten in Petersburg und mit Alexei Alexandrowitsch persönlich befreundet war, recht viel Zeit in Anspruch. Alexei Alexandrowitsch hatte ihn an diesem Tage gar nicht erwartet und war über sein Erscheinen erstaunt und noch mehr darüber, daß der Arzt ihn sehr eingehend über seinen Gesundheitszustand ausfragte, seine Brust behorchte und seine Leber beklopfte und befühlte. Alexei Alexandrowitsch wußte nicht, daß seine Freundin Lydia Iwanowna auf Grund ihrer Wahrnehmung, daß Alexei Alexandrowitschs Gesundheit in diesem Jahre gar nicht gut sei, den Arzt gebeten hatte, doch einmal zu ihm zu fahren und den Kranken zu untersuchen. ›Tun Sie es um meinetwillen!‹ hatte die Gräfin Lydia Iwanowna gesagt.
     
    ›Ich werde es um Rußlands willen tun, Gräfin‹, hatte der Arzt erwidert.
     
    ›Ja, er ist ein unschätzbarer Mann!‹ hatte die Gräfin ausgerufen.
     
    Der Arzt war mit Alexei Alexandrowitsch sehr unzufrieden. Er fand, daß die Leber bedeutend vergrößert, die Ernährung

Weitere Kostenlose Bücher