Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
Vom Netzwerk:
sah, der Verwalter war und daß der Verwalter wahrscheinlich die Bauern vom Pflügen entließ, da sie ihre Hakenpflüge umstürzten. ›Sollten sie wirklich schon mit dem Pflügen fertig sein?‹ dachte er.
     
    »Na, aber so höre doch zu!« sagte der ältere Bruder und verzog mißmutig sein schönes, kluges Gesicht. »Es muß doch alles seine Grenzen haben. Es ist ja sehr schön, ein Original zu sein und die Aufrichtigkeit zu lieben und alle Falschheit zu hassen – das weiß ich alles sehr wohl, aber das, was du da sagst, hat entweder gar keinen Sinn, oder es hat einen sehr schlimmen Sinn. Wie kannst du es für unwichtig erachten, daß das Landvolk, das du deiner Versicherung nach liebst ...«
     
    ›Das habe ich nie versichert‹, dachte Konstantin Ljewin.
     
    »... ohne Hilfe dahinstirbt? Rohe, unwissende Bauernweiber, die als Geburtshelferinnen dienen, martern die Kinder zu Tode, und das Volk verharrt in tiefster Unwissenheit und ist der Willkür jedes Schreibers preisgegeben; dir aber ist das Mittel, dem abzuhelfen, in die Hand gelegt, und doch schaffst du keine Abhilfe, weil das alles deiner Meinung nach nicht wichtig ist.«
     
    Und Sergei Iwanowitsch stellte ihm die Wahl: »Entweder bist du so wenig intelligent, daß du nicht zu beurteilen vermagst, was du alles leisten kannst, oder du bist nicht geneigt, deine Bequemlichkeit, deinen Stolz oder ich weiß nicht, was sonst noch dranzugehen, um dies zu leisten.«
     
    Konstantin Ljewin fühlte, daß ihm nichts übrigblieb als entweder zu Kreuze zu kriechen oder sich zu einem Mangel an Interesse für das Gemeinwohl zu bekennen. Und das kränkte und ärgerte ihn.
     
    »Es trifft sowohl das eine wie das andere zu«, sagte er in entschlossenem Tone. »Ich sehe keine Möglichkeit ...«
     
    »Wie? Ist es denn unmöglich, bei vernünftiger Verwendung der verfügbaren Geldmittel dem Landvolke ärztliche Beihilfe zugänglich zu machen?«
     
    »Meines Erachtens ist das unmöglich ... Unser Kreis umfaßt viertausend Quadratwerst, und bei der Beschaffenheit unserer Wege zur Zeit der Schneeschmelze, bei unseren Schneestürmen, bei unserer Arbeitszeit sehe ich keine Möglichkeit, an jeder Stelle ärztliche Hilfe darzubieten. Und ich habe auch überhaupt kein Vertrauen zur medizinischen Wissenschaft.«
     
    »Na, erlaube mal, das ist aber doch ungerecht ... Ich könnte dir Tausende von Beispielen anführen ... Nun, und die Schulen?«
     
    »Wozu brauchen wir Schulen?«
     
    »Was redest du da? Kann etwa ein Zweifel an dem Nutzen der Bildung bestehen? Wenn sie für dich gut und nützlich ist, so ist sie es auch für jeden.«
     
    Konstantin Ljewin fühlte sich moralisch an die Wand gedrückt; daher geriet er in Hitze und kam unwillkürlich mit dem Hauptgrunde seiner Gleichgültigkeit gegen das Beste der Gesamtheit heraus.
     
    »Es mag sein, daß das alles ganz gut ist; aber wozu soll ich mir Sorge machen um die Einrichtung ärztlicher Beratungsstellen, die ich doch nie benutzen werde, und um die Einrichtung von Schulen, wohin ich meine Kinder nicht schicken werde und wohin auch die Bauern ihre Kinder nicht werden schicken wollen; und ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob es zweckmäßig ist, daß die Bauernkinder hingehen«, fügte er hinzu.
     
    Sergei Iwanowitsch war einen Augenblick ganz überrascht über diese unerwartete Anschauungsweise; dann aber entwarf er sofort einen neuen Angriffsplan.
     
    Er schwieg ein Weilchen, nahm eine Angel heraus, warf sie an einer anderen Stelle hinein und wandte sich dann lächelnd zu seinem Bruder.
     
    »Na, erlaube mal ... Erstens, eine ärztliche Beratungsstelle hat sich als ein notwendiges Bedürfnis herausgestellt. Wir haben doch eben erst für Agafja Michailowna den Landschaftsarzt von wer weiß wie weit her holen lassen müssen.«
     
    »Na, ich glaube, daß ihre Hand doch krumm bleiben wird.«
     
    »Das ist doch noch die Frage ... Ferner wird ein Bauer, ein Arbeiter, der lesen und schreiben kann, für dich dadurch brauchbarer und wertvoller.«
     
    »Nein, da kannst du fragen, wen du willst«, antwortete Konstantin Ljewin in entschiedenem Tone, »ein Mensch, der lesen und schreiben kann, ist als Arbeiter erheblich schlechter. Na, und die Wege, die lassen sich nicht ausbessern; und die Brücken, kaum daß sie fertig sind, werden sie auch schon gestohlen.«
     
    »Übrigens«, erwiderte mit zusammengezogenen Brauen Sergei Iwanowitsch, der Einreden nicht leiden konnte, und namentlich nicht solche, die unaufhörlich von

Weitere Kostenlose Bücher