Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
Vom Netzwerk:
wo er war. Und da er nun einmal halb mit Willen, halb wider Willen die Rolle des unabhängigen Mannes für sich geschaffen hatte, so führte er sie auch weiter durch, indem er sich in sehr feiner, kluger Weise so benahm, als ob er auf niemand böse sei, sich von niemand für beleidigt halte und weiter nichts wünsche, als in Ruhe gelassen zu werden, da er sich ganz behaglich fühle. In Wirklichkeit aber hatte er schon im vorigen Jahre, als er nach Moskau reiste, aufgehört, sich behaglich zu fühlen. Er fühlte, daß man diese unabhängige Stellung eines Mannes, der sich benehme, als könne er alles vollbringen und erreichen und wolle es nur nicht, schon mit eigentümlichen Blicken zu betrachten anfing, daß viele zu denken begannen, sein Können reiche wohl nicht weiter als dazu, ein ehrlicher, braver Kerl zu sein. Sein Verhältnis zu Frau Karenina, das so viel Lärm machte und die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte, hatte durch den neuen Glanz, den es ihm verlieh, den an ihm nagenden Wurm des Ehrgeizes für einige Zeit beruhigt; aber vor einer Woche war dieser Wurm mit neuer Kraft erwacht. Sein Spielkamerad aus der Kinderzeit, Serpuchowskoi, der demselben Gesellschaftskreise angehörte wie er, sein Mitschüler im Pagenkorps gewesen war, mit ihm zu gleicher Zeit abgegangen war und mit dem er in der Klasse und im Turnen und bei mutwilligen Streichen und in ehrgeizigen Träumereien gewetteifert hatte, der war dieser Tage aus Mittelasien zurückgekehrt, nachdem er dort um zwei Stellen aufgerückt war und eine Ordensauszeichnung erhalten hatte, wie sie so jungen Generalen selten verliehen wird.
     
    Sobald er nach Petersburg gekommen war, begann man von ihm wie von einem neu aufsteigenden Sterne erster Größe zu sprechen. Ein Altersgenosse und Schulkamerad Wronskis, war er doch schon General und sah der Ernennung auf einen Posten entgegen, wo er Einfluß auf den Gang der Staatsangelegenheiten haben konnte; Wronski dagegen war zwar ein unabhängiger, vielbewunderter, von einem reizenden Weibe geliebter Mann, aber doch immer nur ein Rittmeister, dem man es überließ, unabhängig zu sein, soviel ihm nur irgend beliebte. ›Selbstverständlich beneide ich Serpuchowskoi nicht und habe keinen Anlaß, ihn zu beneiden; aber seine Beförderung ist mir ein Beweis, daß man nur den richtigen Zeitpunkt abzuwarten braucht, dann kann ein Mann wie ich schnell vorwärtskommen. Vor drei Jahren war er noch in derselben Stellung wie ich. Nehme ich den Abschied, so verbrenne ich meine Schiffe hinter mir. Bleibe ich im Dienst, so verliere ich nichts. Sie hat selbst gesagt, daß sie ihre Lage nicht zu verändern wünscht. Und im Besitze ihrer Liebe kann ich. Serpuchowskoi nicht beneiden.‹ Und mit langsamen Bewegungen seinen Schnurrbart drehend, stand er vom Tische auf und ging im Zimmer auf und ab. Seine Augen glänzten besonders hell, und er fühlte sich in jener festen, ruhigen, frohen Gemütsstimmung, die sich bei ihm immer einstellte, wenn er über seine Lage zur Klarheit gelangt war. Alles war, ganz wie bei früheren Rechnungsabschlüssen, reinlich und klar. Er rasierte sich, nahm ein kaltes Wannenbad, zog sich an und verließ das Haus.
     

21
     
    » I ch wollte dich eben holen. Deine große Wäsche hat ja heute lange gedauert«, sagte Petrizki. »Na, alles erledigt?«
     
    »Jawohl«, erwiderte Wronski; er lächelte nur mit den Augen und drehte die Enden seines Schnurrbartes mit solcher Vorsicht, als ob die schöne Ordnung, die er in seinen Angelegenheiten hergestellt habe, durch jede allzu heftige, schnelle Bewegung wieder zerstört werden könne.
     
    »Nach dieser Arbeit bist du immer in einer Verfassung, wie wenn du aus dem Dampfbade kämest«, sagte Petrizki. »Ich komme von Grizka (dies war der Spitzname des Regimentskommandeurs); du wirst da erwartet.«
     
    Wronski sah seinen Kameraden an, ohne zu antworten; er hatte ganz andere Gedanken.
     
    »Ist denn da Musik bei ihm?« fragte er, indem er nach den wohlbekannten Tönen der Baßtrompeten horchte, die zu ihnen herüberklangen; es wurde gerade ein Walzer gespielt. »Was ist da für ein Fest?«
     
    »Serpuchowskoi ist hergekommen.«
     
    »Ah!« machte Wronski. »Das hatte ich ja gar nicht gewußt.«
     
    Seine lächelnden Augen leuchteten noch heller auf.
     
    Nachdem er einmal innerlich als Tatsache festgestellt hatte, daß seine Liebe ihn vollständig glücklich mache und er ihr seinen Ehrgeiz zum Opfer gebracht habe (wenigstens hatte er diese Rolle für sich

Weitere Kostenlose Bücher