Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
ihm jemand eine solche Dummheit zutraute. »Tout ça est une blague 1 . Das war immer so und wird immer so bleiben. Kommunisten gibt es gar nicht. Aber ränkesüchtige Leute müssen sich immer eine schädliche, gefährliche Partei erfinden, um sie zu bekämpfen. Das ist ein alter Kunstgriff. Nein, wir brauchen eine obrigkeitliche Partei von unabhängigen Männern wie dich und mich.«
»Aber warum sind denn ...«, hier nannte Wronski einige Männer in hohen obrigkeitlichen Stellungen, »warum sind die denn keine unabhängigen Leute?«
»Nur deswegen, weil sie die Unabhängigkeit, die man eigenem Vermögen verdankt, entweder nicht besitzen oder wenigstens nicht von ihrer Geburt an besessen haben, namentlich nicht besessen haben, nicht wie wir in der Nähe der Sonne geboren sind. Sie lassen sich entweder durch Geld oder durch Schmeichelei erkaufen. Und um sich behaupten zu können, müssen sie sich irgendeine Tendenz ersinnen. Und so suchen sie denn irgendeine Ansicht, eine Tendenz durchzuführen, an deren Richtigkeit sie selbst nicht glauben und die nur Unheil stiftet. Und diese ganze Tendenz ist ihnen nur ein Mittel dazu, eine Dienstwohnung und soundso viel Gehalt zu bekommen. Cela n'est pas plus fin que ça, 2 wenn man ihnen in die Karten blickt. Vielleicht bin ich minderwertiger, dümmer als sie, wiewohl ich eigentlich nicht absehen kann, warum ich minderwertiger als sie sein sollte. Aber ich und du, wir haben jedenfalls von vornherein einen wesentlichen Vorzug vor ihnen: daß wir schwerer zu kaufen sind. Und solche Männer sind heutzutage mehr als sonst in Rußland nötig.«
Wronski hörte aufmerksam zu; aber was ihn interessierte, war nicht sowohl der Inhalt dieser Worte als vielmehr die Stellung, die Serpuchowskoi den bestehenden Zuständen gegenüber einnahm: daß er bereits an einen Kampf mit den Inhabern der Regierungsgewalt dachte und auf diesem hochwichtigen Gebiete schon seine Sympathien und Antipathien hatte, während für ihn selbst in seiner dienstlichen Tätigkeit nur die Interessen seiner Schwadron vorhanden waren. Wronski war sich auch darüber klar, welche persönliche Macht Serpuchowskoi besaß durch seine zweifellose Befähigung, die Sachen zu durchdenken und zu erfassen, durch seinen Verstand und durch eine rednerische Begabung, wie sie in dem Kreise, in dem er lebte, nur selten vorkommt. Und wie sehr Wronski sich auch dieses Gefühles schämte, er beneidete ihn.
»Es fehlt mir aber doch dazu ein Haupterfordernis«, antwortete er. »Es fehlt mir das Streben nach Macht. Dieses Streben habe ich früher einmal gehabt; aber es ist vergangen.«
»Verzeih, aber das ist nicht wahr«, erwiderte Serpuchowskoi lächelnd.
»Doch, es ist wahr, es ist wahr! Um aufrichtig zu sein, will ich hinzusetzen: jetzt«, fügte Wronski hinzu.
»Ja, jetzt ist es wahr; das ist eine andere Sache; aber dieses Jetzt wird bei dir nicht lebenslänglich dauern.«
»Kann sein«, antwortete Wronski.
»Du sagst ›kann sein‹«, fuhr Serpuchowskoi fort, als wenn er Wronskis Gedanken erraten hätte, »ich aber sage dir: bestimmt. Und ebendeswegen hatte ich gern mit dir sprechen wollen. Du hast so gehandelt, wie du handeln mußtest. Dafür habe ich durchaus Verständnis; aber du darfst nicht eigensinnig sein. Ich bitte dich nur um carte blanche 3 . Ich werde dich nicht begünstigen ... Wiewohl – warum sollte ich dich eigentlich nicht auch begünstigen? Wie oft hast du mich begünstigt! Ich hoffe, unsere Freundschaft ist über solche Bedenklichkeiten erhaben. Ja«, sagte er und lächelte ihm ordentlich zärtlich, wie eine Frau, zu. »Gib mir carte blanche und tritt aus dem Regimente aus; dann werde ich dich schon unvermerkt in das richtige Geleise bringen.«
»Aber so begreife doch nur, daß ich gar kein Verlangen danach habe«, antwortete Wronski. »Mein einziger Wunsch ist, daß alles bleiben möge, wie es bisher gewesen ist.«
Serpuchowskoi stand auf und stellte sich gerade vor ihn hin.
»Du sagst, alles möge bleiben wie bisher. Ich verstehe, was für ein Sinn dahinter steckt. Aber höre: wir sind gleichaltrig; vielleicht hast du der Zahl nach mehr Frauen kennengelernt als ich.« Durch sein Lächeln und seine Handbewegungen gab Serpuchowskoi zu verstehen, Wronski habe nichts zu befürchten; er werde den wunden Punkt nur ganz zart und vorsichtig berühren. »Aber ich bin verheiratet, und glaube mir (ich habe das auch irgendwo gedruckt gelesen), wenn man nur seine eigene
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