Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Schwierigkeit bereitet und keinerlei Zweifel erregt haben; er hätte sich gesagt: ›Er ist ein Dummkopf oder ein Lump‹, und alles wäre klar gewesen. Aber einen Dummkopf konnte er ihn nicht nennen; denn Swijaschski war zweifellos nicht nur ein sehr kluger, sondern auch ein sehr gebildeter Mann, der mit seiner Bildung in keiner Weise prahlte. Es gab kein Gebiet, auf dem er nicht Bescheid gewußt hätte; aber er zeigte sein Wissen nur, wenn er sich dazu genötigt sah. Und noch weniger konnte Ljewin sagen, daß er ein Lump sei; denn Swijaschski war zweifellos ein ehrenhafter, guter, braver Mensch, der heiter, frisch und unermüdlich eine von seiner gesamten Umgebung hoch bewertete Tätigkeit entfaltete und gewiß nie mit Bewußtsein etwas Schlechtes getan hatte und dessen auch nicht fähig war.
Ljewin versuchte, sich über den Charakter seines Bekannten klarzuwerden, gelangte aber damit nicht zum Ziele und betrachtete ihn und sein Leben immer wie ein lebendiges Rätsel.
Sie waren miteinander gut befreundet, und daher erlaubte sich Ljewin oft, ihm mit Fragen zuzusetzen, in dem Wunsche, bis zum tiefsten Grunde seiner Lebensanschauung durchzudringen; aber dies war ihm nie gelungen. Jedesmal, wenn Ljewin versucht hatte, in Swijaschskis Geist weiter als bis in die einem jeden geöffneten Empfangszimmer einzudringen, hatte er bemerkt, daß Swijaschski eine leise Verlegenheit zeigte; eine ganz schwache Andeutung von Angst prägte sich in seinem Blicke aus, als ob er fürchtete, von Ljewin durchschaut zu werden; er wehrte sich gegen solche Versuche dann in gutmütiger, humoristischer Weise.
Jetzt nach der Enttäuschung, die ihm seine wirtschaftliche Tätigkeit gebracht hatte, freute sich Ljewin auf ein Zusammensein mit Swijaschski ganz besonders. Ganz abgesehen davon, daß der Anblick dieser glücklichen, mit sich und aller Welt zufriedenen Täubchen und ihres wohleingerichteten Nestes ihn immer in vergnügte Stimmung versetzte, verlangte es ihn jetzt, wo er sich mit seinem eigenen Leben so unzufrieden fühlte, in Swijaschskis Seele jene geheimnisvolle Eigenschaft zu ergründen, die diesem im Leben eine solche Klarheit, Bestimmtheit und Heiterkeit verlieh. Außerdem wußte Ljewin, daß er bei Swijaschskis einige Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft treffen werde, und es war ihm jetzt höchst interessant, jene wirtschaftlichen Gespräche über die Ernte, über das Mieten von Arbeitern und so weiter zu führen und mit anzuhören, die, wie Ljewin wußte, nach dem herkömmlichen Urteile als etwas sehr Niedriges galten, die ihm aber jetzt als etwas sehr Wichtiges erschienen. ›Mag sein, daß das zur Zeit der Leibeigenschaft nicht wichtig war oder in England heutzutage nicht wichtig ist. In beiden Fällen jedoch handelt es sich um feststehende Verhältnisse; aber bei uns jetzt, wo das alles eine Umwälzung durchgemacht hat und eben erst in der Neugestaltung begriffen ist, bei uns jetzt ist die Frage, wie sich die Verhältnisse gestalten werden, die einzig wichtige Frage in Rußland‹, dachte Ljewin.
Es stellte sich heraus, daß die Jagd schlechter war, als Ljewin erwartet hatte. Der Sumpf war ausgetrocknet, und Schnepfen gab es so gut wie gar keine. Er streifte den ganzen Tag umher und brachte nur drei Stück nach Hause; dafür aber brachte er, wie immer von der Jagd, einen ausgezeichneten Appetit mit sowie eine vortreffliche Stimmung und jenen angeregten Geisteszustand, der sich bei ihm stets als Folge starker körperlicher Bewegung einstellte. Auch auf der Jagd, in Augenblicken, da er anscheinend an gar nichts dachte, war ihm immer wieder jener alte Bauer mit seiner Familie eingefallen, und dieses ihm vorschwebende Bild hatte nicht nur seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, sondern ihm auch gewissermaßen die Lösung einer damit im Zusammenhang stehenden Frage nahegelegt.
Am Abend waren beim Teetrinken noch zwei andere Gutsbesitzer zugegen, die zur Besprechung irgendwelcher Vormundschaftssachen gekommen waren, und es kam nun eben jenes interessante Gespräch in Gang, das Ljewin erwartet hatte.
Ljewin saß am Teetisch neben der Hausfrau und mußte sich mit ihr und mit der Schwägerin, die ihm gegenübersaß, unterhalten. Die Hausfrau war von kleiner Statur, blond, mit einem runden Gesichte, das fortwährend von einem lustigen Lächeln über und über aufstrahlte und seine hübschen Grübchen zeigte. Ljewin gab sich Mühe, durch sie zur Lösung des ihn so sehr interessierenden Rätsels zu
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