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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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gelangen, das ihr Mann für ihn bildete; aber er hatte nicht die volle Freiheit des Denkens, weil er eine peinliche Verlegenheit empfand. Diese rührte daher, daß die ihm gegenübersitzende Schwägerin ein eigenartiges Kleid trug, das sie, wie es ihm schien, besonders für ihn angezogen hatte, mit einem eigenartigen trapezförmigen Ausschnitt auf der weißen Brust; obgleich diese Brust sehr weiß war oder gerade weil sie sehr weiß war, sah sich Ljewin durch diesen viereckigen Ausschnitt der Freiheit des Denkens beraubt. Er hatte die wahrscheinlich irrtümliche Vorstellung, daß dieser Ausschnitt mit Rücksicht auf ihn gemacht sei, und hielt sich nicht für berechtigt, danach hinzusehen, und bemühte sich, es zu vermeiden; aber er hatte die Empfindung, als treffe ihn schon deswegen eine Schuld, weil der Ausschnitt überhaupt gemacht war. Es kam ihm vor, als betrüge er jemanden, als müsse er etwas zu seiner Rechtfertigung sagen, aber als sei dies doch schlechterdings nicht tunlich; und deswegen errötete er fortwährend und war unruhig und verlegen. Seine Verlegenheit teilte sich auch der hübschen Schwägerin mit. Aber die Hausfrau schien dies nicht zu bemerken und zog diese geflissentlich ins Gespräch.
     
    »Sie sagen«, fuhr die Hausfrau in dem begonnenen Gespräche fort, »daß meinen Mann nichts Russisches interessiere. Aber das Gegenteil ist richtig; er ist ja im Auslande meist sehr vergnügt, aber doch nie so wie hier. Hier fühlt er sich in seinem Fahrwasser. Er hat soviel zu tun, und er besitzt die Gabe, sich für alles zu interessieren. In unserer Schule sind Sie wohl noch nicht gewesen?«
     
    »Ich habe sie von außen gesehen ... Nicht wahr, das mit Efeu bewachsene Häuschen?«
     
    »Ja, die Schule ist Nastjas Domäne«, sagte sie, auf ihre Schwester weisend.
     
    »Unterrichten Sie selbst?« fragte Ljewin und gab sich dabei Mühe, an dem Ausschnitt vorbeizusehen; aber er merkte, daß, er mochte in jener Richtung blicken, wohin er wollte, er immer den Ausschnitt sehen werde.
     
    »Ja, ich habe selbst unterrichtet und unterrichte auch jetzt noch; aber wir haben auch eine ausgezeichnete Lehrerin. Auch Turnunterricht haben wir eingeführt.«
     
    »Nein, danke schön, ich möchte keinen Tee mehr«, sagte Ljewin und stand errötend auf; er fühlte zwar, daß er damit eine Unhöflichkeit beging, war aber nicht imstande, dieses Gespräch weiter fortzusetzen. »Ich höre da ein sehr interessantes Gespräch«, fügte er hinzu und ging nach dem andern Ende des Tisches hin, wo der Hausherr mit den beiden Gutsbesitzern saß. Swijaschski wandte dem Tische die eine Seite seines Körpers zu; den einen Ellbogen hatte er auf den Tisch gelegt und drehte mit der Hand dieses Armes seine Tasse immer herum; mit der andern Hand faßte er seinen Bart zusammen, hob ihn zur Nase in die Höhe und ließ ihn wieder los, gerade wie wenn er daran röche. Mit seinen blitzenden, schwarzen Augen sah er dem sprechenden und sich dabei ereifernden Gutsbesitzer, einem Manne mit grauem Schnurrbarte, gerade ins Gesicht und ergötzte sich augenscheinlich an dessen Reden. Der Gutsbesitzer schalt über das Landvolk. Ljewin sah deutlich, daß Swijaschski auf die Klagen des Gutsbesitzers eine Antwort bereit hatte, die dessen Darlegungen mit einem Schlage zunichte gemacht hätte, daß er aber mit Rücksicht auf seine Stellung als Wirt und Adelsmarschall diese Antwort unterdrückte und mit innerer Heiterkeit die komischen Auslassungen des Gutsbesitzers mit anhörte.
     
    Der Gutsbesitzer mit dem grauen Schnurrbart war offenbar ein hartnäckiger Verteidiger der Leibeigenschaft, ein eingefleischter Landbewohner und leidenschaftlicher Landwirt. Kennzeichen dafür erblickte Ljewin sowohl in seiner Kleidung, einem altmodischen, abgescheuerten Oberrock, der seinem Träger sichtlich etwas Ungewohntes war, wie auch in seinen klugen, streng blickenden Augen und in seiner bündigen, rein russischen Ausdrucksweise und in dem befehlenden Tone, den er offenbar durch lange Gewohnheit angenommen hatte, und an den entschiedenen Bewegungen der großen, schönen, von der Sonne verbrannten Hände mit einem alten Trauringe am Goldfinger.
     

27
     
    » W enn es mir nur nicht leid täte, alles, was ich mir eingerichtet habe, aufzugeben – es steckt eine gehörige Menge Arbeit darin –, so würde ich die ganze Geschichte hinwerfen, alles verkaufen und ins Ausland reisen, wie unser Nikolai Iwanowitsch hier ... um ›Die schöne Helena‹ zu hören«, sagte der

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