Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
...«
Aber sie ließ sich nicht unterbrechen. Das, was sie da erzählte, war ihr zu wichtig.
»Und dieses Ding drehte sich um, und ich sah, daß es ein kleiner, furchtbar aussehender Bauer mit zerzaustem Barte war. Ich wollte weglaufen; aber er bückte sich über einen Sack und wühlte mit den Händen darin herum ...«
Sie machte nach, wie er mit den Händen darin herumgewühlt hatte. Entsetzen malte sich auf ihrem Gesichte, und Wronski, der sich seines eigenen Traumes erinnerte, fühlte, wie das gleiche Entsetzen seine Seele erfüllte.
»Er wühlte darin herum und sagte dabei etwas auf französisch, ganz schnell, ganz schnell, und, weißt du, er schnarrte dabei das R: ›Il faut le battre le fer, le broyer, le pétrir ...‹ 1 Vor Angst wünschte ich aufzuwachen, und ich wachte auch auf ... aber es träumte mir nur, daß ich aufwachte. Und nun fragte ich mich, immer noch im Traume, was das zu bedeuten habe. Und der Kammerdiener Kornei sagte mir: ›Im Wochenbette werden Sie sterben, Mütterchen, im Wochenbette, jawohl, im Wochenbette werden Sie sterben.‹ ... Und da erwachte ich.«
»Was für Unsinn! Was für Unsinn!« rief Wronski; aber er fühlte selbst, daß seiner Stimme der Ton eigener Überzeugung mangelte.
»Aber wir wollen nicht mehr davon reden. Klingle; ich möchte Tee bringen lassen. Ja, warte nur, jetzt dauert es nicht mehr lange; ich ...«
Aber plötzlich hielt sie inne. Der Ausdruck ihres Gesichtes änderte sich in einem Augenblicke. An die Stelle der Aufregung und des Entsetzens trat auf einmal der Ausdruck eines stillen, ernsten, beglückten Aufmerkens. Wronski konnte die Bedeutung dieser Verwandlung nicht verstehen. Anna hatte in sich die Regung eines neuen Lebens gespürt.
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1 (frz.) Man muß das Eisen schmieden, muß es schlagen, muß es formen.
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N achdem Alexei Alexandrowitsch in seiner Haustür mit Wronski zusammengetroffen war, fuhr er, wie es auch seine Absicht gewesen war, in die Italienische Oper. Er saß dort zwei Akte ab und begrüßte alle die, die zu begrüßen ihm wichtig war. Nach Hause zurückgekehrt, musterte er aufmerksam den Kleiderständer, und als er festgestellt hatte, daß sich daran kein Militärmantel befand, begab er sich wie gewöhnlich in sein Zimmer. Aber gegen seine Gewohnheit legte er sich nicht schlafen, sondern wanderte bis drei Uhr morgens in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Der Zorn ließ ihm keine Ruhe, der Zorn gegen seine Frau, die die Gebote des Anstandes nicht beobachten und die einzige von ihm gestellte Bedingung, ihren Liebhaber nicht in diesem Hause zu empfangen, nicht erfüllen wollte. Sie hatte seine Forderung nicht erfüllt, und er mußte sie daher jetzt bestrafen und seine Drohung zur Ausführung bringen, das heißt, er mußte die Scheidung verlangen und ihr den Sohn wegnehmen. Er kannte alle Schwierigkeiten, mit denen dieses Verfahren verknüpft war; aber er hatte gesagt, daß er es tun werde, und mußte jetzt seine Drohung ausführen. Die Gräfin Lydia Iwanowna hatte ihm eine leise Andeutung gemacht, daß dies der beste Ausweg aus seiner Lage sein werde, und in letzter Zeit hatten die Rechtsanwälte ihre Methode in Ehescheidungsprozessen derart vervollkommnet, daß Alexei Alexandrowitsch es für möglich erachtete, die förmlichen Schwierigkeiten zu überwinden. Außerdem hatte er, wie denn ein Unglück selten allein kommt, von der Angelegenheit der Verwaltungseinrichtungen der Fremdvölker und von der Angelegenheit der Berieselung der Felder im Gouvernement Saraisk solche Unannehmlichkeiten in dienstlicher Hinsicht gehabt, daß er sich während der ganzen letzten Zeit in äußerst gereizter Stimmung befunden hatte.
Er schlief die ganze Nacht nicht, und sein Zorn, der in gewaltiger Steigerung wuchs, hatte am Morgen die denkbar größte Höhe erreicht. Er kleidete sich eilig an und ging zu seiner Frau, sobald er erfahren hatte, daß sie aufgestanden sei. Er trug ihr gleichsam die volle Schale seines Zornes hin, besorgt, etwas davon zu verschütten und mit dem Zorne zugleich Einbuße an der Energie zu erleiden, deren er bei der Auseinandersetzung mit seiner Frau bedurfte.
Obgleich Anna ihren Mann so genau zu kennen glaubte, war sie doch, als er in ihr Zimmer trat, von seinem Aussehen überrascht. Seine Stirn war gerunzelt; die Augen blickten finster vor sich hin und wichen ihrem Blicke aus; der Mund war fest und verächtlich zusammengepreßt. In seinem Gange, in sei nen Bewegungen und im
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