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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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nicht imstande, ein Wort zu sagen, aus dem Zimmer.
     

19
     
    › E r hat es den Weisen verborgen und den Kindern und Unmündigen geoffenbart‹, dachte Konstantin Ljewin mit Bezug auf seine Frau, als er an diesem Abend mit ihr sprach.
     
    Er dachte an diesen Spruch im Evangelium nicht etwa, weil er sich für einen Weisen gehalten hätte. Für einen Weisen hielt er sich zwar nicht; aber er war doch der bestimmten Überzeugung, daß er klüger sei als seine Frau und als Agafja Michailowna, und er war sich auch bewußt, daß er, sooft er über den Tod nachdachte, dies mit aller Kraft seines Geistes tat. Er wußte auch, daß viele Männer von scharfem Verstande, deren Gedanken über den Tod er gelesen hatte, viel über diesen nachgedacht und dennoch über ihn nicht den hundertsten Teil von dem gewußt hatten, was seine Frau und Agafja Michailowna über ihn wußten. So verschieden auch diese beiden Frauen voneinander waren, Agafja Michailowna und Katja, wie sein Bruder Nikolai sie zu nennen pflegte und wie auch Konstantin sie jetzt besonders gern nannte: in diesem Punkte waren sie einander völlig ähnlich. Beide wußten sie unzweifelhaft, was das Leben war und was der Tod war, und obgleich sie die Fragen, die sich ihm, Konstantin Ljewin, aufdrängten, nicht hätte beantworten können, ja überhaupt nicht verstanden hätten, so hatten sie doch beide keinen Zweifel über das Wesen dieser Erscheinung, des Todes, und hatten über ihn völlig die gleiche Anschauung, nicht nur untereinander, sondern sie teilten diese Auffassung auch mit Millionen von Menschen. Ein Beweis dafür, daß sie mit Bestimmtheit wußten, was der Tod sei, lag darin, daß sie, ohne auch nur eine Sekunde lang im unsichern zu sein, wußten, wie man Sterbende zu behandeln habe, und sich vor ihnen nicht fürchteten. Konstantin Ljewin aber und andere Leute konnten zwar vieles vom Tode sagen, kannten ihn aber offenbar nicht, da sie ihn fürchteten und schlechterdings nicht wußten, wie sie sich Sterbenden gegenüber zu verhalten hätten. Wäre Konstantin jetzt allein bei seinem Bruder Nikolai gewesen, so würde er ihn nur mit Entsetzen angesehen und mit noch größerem Entsetzen auf den Tod gewartet haben; weiter aber hätte er nichts zu tun gewußt.
     
    Ja noch mehr: er wußte nicht einmal, was er sagen, wie er den Sterbenden ansehen, wie er im Zimmer gehen sollte. Von Gegenständen, die dem andern fern lagen, zu reden, das erschien ihm verletzend, das ging unmöglich; und vom Tode und solchen düsteren Dingen zu sprechen, das ging ebensowenig. Zu schweigen war gleichfalls unmöglich. ›Sehe ich ihn an, so wird er, fürchte ich, denken, daß ich sein Aussehen studieren will; sehe ich ihn nicht an, so wird er denken, daß ich andere Gedanken im Kopfe habe; gehe ich auf den Fußspitzen, so wird ihm das nicht recht sein; und mit dem ganzen Fuße aufzutreten scheue ich mich auch.‹ Kitty dagegen dachte offenbar gar nicht an sich selbst und hatte auch keine Zeit dazu; sie dachte an den Kranken, weil sie eben etwas wußte, was Konstantin nicht wußte. Und alles ging ihr gut vonstatten: sie erzählte ihm von sich selbst und von ihrer Hochzeit und lächelte ihm zu und bedauerte ihn und streichelte ihn, sprach von Fällen der Genesung bei der gleichen Krankheit – das ging ihr alles gut vonstatten; folglich wußte sie, was der Tod war. Ein Beweis dafür, daß ihre und Agafja Michailownas Tätigkeit nicht rein triebhaft, vernunftlos war, mußte darin gesehen werden, daß außer der körperlichen Pflege, der Erleichterung der Leiden sowohl Agafja Michailowna wie auch Kitty für einen Sterbenden noch etwas anderes für nötig hielten, etwas Wichtigeres als die körperliche Pflege, etwas, was mit dem ganzen Gebiete des Leiblichen nichts gemein hatte. So hatte Agafja, als sie von jenem verstorbenen alten Knecht sprach, gesagt: »Nun, Gott sei Dank, er hatte das Abendmahl genommen und die Letzte Ölung erhalten; gebe Gott einem jeden einen solchen Tod!« Ganz ebenso hatte Kitty, neben all ihren Sorgen um die Wäsche, um die durchgelegenen Stellen und um das Getränk, gleich an diesem ersten Tage Zeit gefunden, den Kranken von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß er das Abendmahl nehme und die Letzte Ölung empfange.
     
    Als sie von dem Kranken für die Nacht in ihre beiden Zimmer zurückgekehrt waren, saß Konstantin mit gesenktem Kopfe da, ohne zu wissen, was er nun tun sollte. Er dachte nicht an das Abendessen, er dachte nicht daran, sich zum Schlafengehen

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