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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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geglaubt hatte, ein Wort zu sagen, wie wenn er sich schämte, auch nur daran zu denken, verlangte er, es solle ihm Jod zum Einatmen in einem Fläschchen gegeben werden, das mit einem durchlöcherten Papier bedeckt war. Konstantin reichte ihm das Gefäß, und derselbe Blick leidenschaftlicher Hoffnung, mit dem der Kranke die Letzte Ölung empfangen hatte, richtete sich jetzt auf den Bruder und verlangte von ihm eine Wiederholung der Äußerung des Arztes, daß das Einatmen von Jod manchmal geradezu Wunder wirke.
     
    »Ist Kitty nicht hier?« sagte er heiser, nachdem ihm Konstantin mit Widerstreben die Worte des Arztes wiederholt hatte, und sah sich um. »Nein, nun, dann kann ich es ja sagen ... Ich habe die ganze Komödie nur um ihretwillen durchgeführt. Sie ist so lieb und gut; aber du und ich, wir dürfen einander nichts vormachen. Hier, an das hier glaube ich«, sagte er und begann, seine knochige Hand fest um das Fläschchen pressend, aus ihm zu atmen.
     
    Zwischen sieben und acht Uhr abends tranken Konstantin und seine Frau in ihrem Zimmer Tee, als Marja Nikolajewna atemlos zu ihnen hereingestürzt kam. Sie war blaß, und ihre Lippen zitterten. »Er liegt im Sterben!« flüsterte sie. »Ich fürchte, er wird gleich sterben.«
     
    Beide eilten zu ihm. Er hatte sich im Bette etwas aufgerichtet und saß, auf einen Ellbogen gestützt, da; der lange Rücken war zusammengekrümmt, der Kopf hing tief herab.
     
    »Wie fühlst du dich?« fragte Konstantin flüsternd nach kurzem Schweigen.
     
    »Ich fühle, daß ich davon muß«, sagte Nikolai mit Anstrengung, aber ungewöhnlich deutlich, indem er die Worte langsam herauspreßte. Er hob den Kopf nicht in die Höhe, sondern richtete nur die Augen nach oben, ohne aber mit ihnen das Gesicht des Bruders zu erreichen. »Katja, geh hinaus!« fügte er dann noch hinzu.
     
    Konstantin sprang auf und veranlaßte sie, indem er ihr in gebieterischem Ton etwas zuflüsterte, hinauszugehen.
     
    »Ich muß davon«, wiederholte Nikolai.
     
    »Warum meinst du das?« fragte Konstantin, um überhaupt etwas zu sagen.
     
    »Weil ich davon muß«, sagte er noch einmal, wie wenn ihm dieser Ausdruck besonders gefiele. »Es ist zu Ende.«
     
    Marja Nikolajewna trat zu ihm heran.
     
    »Sie sollten sich hinlegen; es ist Ihnen dann leichter«, sagte sie.
     
    »Bald werde ich liegen«, antwortete er leise; »als Leiche«, fügte er spöttisch und ingrimmig hinzu. »Na, dann legt mich hin, wenn ihr das wollt.«
     
    Konstantin legte den Bruder auf den Rücken, setzte sich neben ihn und blickte ihm, kaum zu atmen wagend, ins Gesicht. Der Sterbende lag mit geschlossenen Augen da; aber auf seiner Stirn bewegten sich ab und zu die Muskeln, wie bei jemand, der tief und angestrengt nachdenkt. Unwillkürlich überlegte Konstantin, was wohl jetzt in der Seele des Sterbenden vorgehen möge; aber wie sehr er auch seine Denkkraft anstrengte, um dem Gedankengang seines Bruders zu folgen, so sah er doch am Ausdruck dieses ruhigen, ernsten Gesichtes und am Spiel der Muskeln oberhalb der Brauen, daß dem Sterbenden immer klarer und klarer wurde, was für ihn, Konstantin, noch immer gleich dunkel blieb.
     
    »Ja, ja, so ist es«, sagte der Sterbende langsam und in Absätzen. »Warte einmal.« Wieder schwieg er eine Weile. »So ist es!« fügte er dann in gedehntem Ton, wie beruhigt, hinzu, als ob er nun über alles ins reine gekommen wäre. »O Gott!« sagte er hierauf und seufzte schwer.
     
    Marja Nikolajewna befühlte seine Füße. »Sie werden kalt«, flüsterte sie.
     
    Lange, sehr lange, wie es Konstantin vorkam, lag der Kranke da, ohne sich zu rühren. Aber er lebte immer noch und seufzte von Zeit zu Zeit. Konstantin war von dem angestrengten Denken schon ganz müde. Er fühlte, daß er trotz aller Anspannung seiner Denkkraft nicht imstande war, zu begreifen, was »so« war. Er fühlte, daß er in dieser Gedankenarbeit schon längst hinter dem Sterbenden zurückgeblieben war. Er war jetzt nicht mehr imstande, an die eigentliche Frage nach dem Wesen des Todes zu denken, sondern unwillkürlich kamen ihm Gedanken darüber, was er jetzt, sofort, werde tun müssen: dem Toten die Augen zudrücken, ihn ankleiden, einen Sarg bestellen. Und seltsam: er fühlte sich vollständig kalt und empfand weder Kummer noch das Gefühl eines Verlustes und noch weniger Mitleid mit dem Bruder. Wenn jetzt in seiner Seele ein Gefühl seinem Bruder gegenüber rege war, so war es eher das Gefühl des Neides wegen der

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