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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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diese Art des Verkehrs mit ihm, weil sie etwas Elegantes und Geheimnisvolles an sich hatte, zwei Dinge, die bei dem persönlichen Verkehr der Gräfin mit Alexei Alexandrowitsch mangelten.
     

24
     
    D ie Gratulationscour war beendet. Beim Fortgehen unterhielten sich Bekannte, die einander begegneten, über die letzten Neuigkeiten des Tages: die neu verliehenen Auszeichnungen und die Veränderungen in den höchsten Beamtenstellen.
     
    »Man sollte die Gräfin Marja Borisowna zum Kriegsminister und die Fürstin Watkowskaja zum Chef des Generalstabes machen«, sagte ein grauhaariger, kleiner alter Herr in goldgestickter Uniform zu einem hochgewachsenen, sehr schönen Hoffräulein, das sich bei ihm nach den Beförderungen erkundigt hatte.
     
    »Und mich zum Adjutanten«, antwortete das Hoffräulein lächelnd.
     
    »Sie haben bereits eine andere Bestimmung. Sie bekommen das Ministerium der geistlichen Angelegenheiten; und Ihr Unterstaatssekretär wird Herr Karenin.«
     
    »Guten Tag, Fürst!« sagte der kleine alte Herr und drückte einem Herantretenden die Hand.
     
    »Was sagten Sie da von Karenin?« fragte der Fürst.
     
    »Er und Putjatow haben den Alexander-Newski-Orden erhalten.«
     
    »Ich dachte, den hätte er schon.«
     
    »Nein. Sehen Sie ihn einmal an«, sagte der kleine alte Herr und deutete mit seinem goldgestickten Hute auf Karenin, der, in Hofuniform und mit dem neuen roten Ordensband um die Schulter, mit einem der einflußreichsten Mitglieder des Reichsrates in der Saaltür stand. »Er ist glücklich und zufrieden wie ein Kupferdreier«, fügte er hinzu und hielt dann inne, um einem herkulisch gebauten schönen Kammerherrn die Hand zu drücken.
     
    »Nein, er ist doch recht gealtert«, meinte der Kammerherr.
     
    »Von Sorgen. Er tut jetzt weiter nichts als Projekte ausarbeiten. Den Unglücklichen, den er da gefaßt hat, wird er nicht loslassen, ehe er ihm nicht alles Punkt für Punkt auseinandergesetzt hat.«
     
    »Der soll gealtert sein? Il fait des passions. 1 Ich glaube, die Gräfin Lydia Iwanowna ist jetzt eifersüchtig auf seine Frau.«
     
    »Oh, oh! bitte, reden Sie nichts Schlechtes von der Gräfin Lydia Iwanowna.«
     
    »Ist denn das etwas Schlechtes, daß sie in Karenin verliebt ist?«
     
    »Ist es richtig, daß Frau Karenina hier ist?«
     
    »Das heißt, hier im Palais ist sie nicht; aber in Petersburg ist sie. Ich habe sie gestern mit Alexei Wronski, bras dessus, bras dessous, in der Morskaja-Straße getroffen.«
     
    »C'est un homme qui n'a pas ...« 2 , begann der Kammerherr, hielt aber inne, um einem vorbeikommenden Mitgliede der kaiserlichen Familie Platz zu machen und sich zu verbeugen.
     
    So sprach man unaufhörlich über Alexei Alexandrowitsch, bekrittelte ihn und machte sich über ihn lustig, während er selbst jenem Mitglied des Reichsrates, dessen er sich bemächtigt hatte, den Weg versperrte und ihm, ohne auch nur für einen Augenblick eine Unterbrechung in seiner Darlegung eintreten zu lassen, so daß der Ärmste hätte entschlüpfen können, Punkt für Punkt einen Finanzplan auseinandersetzte.
     
    Fast zur selben Zeit, wo ihn seine Frau verließ, hatte Alexei Alexandrowitsch das Bitterste durchmachen müssen, was es für einen Beamten gibt: das Aufhören der aufsteigenden Bewegung in seiner Laufbahn. Dieser Stillstand war zweifellos eingetreten, und alle sahen es deutlich; aber Alexei Alexandrowitsch selbst war noch nicht zu der Erkenntnis gelangt, daß seine Laufbahn endgültig abgeschlossen sei. Ob nun der Zusammenprall mit Stremow den Grund bildete oder das Unglück, das er mit seiner Frau gehabt hatte, oder einfach der Umstand, daß Alexei Alexandrowitsch an die ihm vom Schicksal vorherbestimmte Grenze gelangt war, jedenfalls wurde es für alle in diesem Jahre augenfällig, daß es mit seiner Laufbahn ein Ende hatte. Er bekleidete zwar noch ein hohes Amt, er war Mitglied vieler Kommissionen und Komitees, aber er war nun schon ein Mann, den man für völlig verbraucht ansah und von dem man nichts mehr erwartete. Er mochte reden und vorschlagen, was er wollte, man hörte ihm mit einer Miene zu, als sei das, was er vorschlug, schon längst bekannt und gerade das Allerunbrauchbarste. Aber Alexei Alexandrowitsch merkte das nicht; im Gegenteil, jetzt, wo er von der eigentlichen Mitarbeiterschaft bei der Regierungstätigkeit ausgeschlossen war, erkannte er noch deutlicher als früher die Mängel und Fehler in der Tätigkeit anderer und hielt es demgemäß für seine

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