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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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ausgeschnittenes helles seidenes Kleid mit Samtbesatz, das sie sich in Paris hatte machen lassen, und auf dem Kopfe kostbare weiße Spitzen, die ihr Gesicht umrahmten und ihre blendende Schönheit besonders vorteilhaft hervorhoben.
     
    »Wollen Sie wirklich ins Theater fahren?« fragte er und bemühte sich dabei, sie nicht anzusehen.
     
    »Warum fragen Sie denn danach in so ängstlichem Tone?« erwiderte sie, von neuem dadurch verletzt, daß er sie nicht ansah. »Warum sollte ich nicht hinfahren?«
     
    Sie gab sich den Anschein, als verstehe sie die Bedeutung seiner Frage nicht.
     
    »Selbstverständlich liegt gar kein Grund dagegen vor«, versetzte er mit gerunzelter Stirn.
     
    »Ganz meine Ansicht«, erwiderte sie, indem sie seinen ironischen Ton absichtlich überhörte und ruhig den langen, parfümierten Handschuh auf den Arm streifte.
     
    »Anna, um Gottes willen! Was ist mit Ihnen?« sagte er, um sie zur Besinnung zu bringen, genauso, wie einstmals ihr Mann zu ihr gesprochen hatte.
     
    »Ich verstehe nicht, warum Sie danach fragen.«
     
    »Sie wissen, daß Sie da nicht hinfahren können.«
     
    »Warum sollte ich das nicht können? Ich fahre nicht allein. Die Prinzessin Warwara ist nur weggefahren, um sich umzuziehen; sie fährt mit mir.«
     
    Er zuckte die Achseln mit einer Miene des Staunens und der Verzweiflung.
     
    »Aber wissen Sie denn nicht ...«, begann er.
     
    »Ich will es nicht wissen!« unterbrach sie ihn, beinahe schreiend. »Ich will nicht! Bereue ich denn, was ich getan habe? Nein, nein und nochmals nein! Und wenn ich noch einmal am Anfang stände, so würde doch alles denselben Verlauf nehmen Für uns, für mich und für Sie, ist nur eines wichtig: ob wir einander lieben. Weiter kommt nichts in Betracht. Warum wohnen wir hier getrennt und sehen einander nicht? Warum soll ich nicht in die Oper fahren? Ich liebe dich, und alles übrige ist mir gleichgültig«, sprach sie russisch weiter und blickte ihn mit einem eigentümlichen, ihm rätselhaften Glanze in den Augen an, »wenn du dich nicht verändert hast. Warum siehst du mich denn nicht an?«
     
    Er blickte sie an. Er sah die ganze Schönheit ihres Gesichts und ihrer Gesellschaftstoilette, die ihr stets so vorzüglich stand. Aber jetzt war es gerade ihre Schönheit und Eleganz, was ihn in gereizte Stimmung versetzte.
     
    »Mein Gefühl kann sich nicht ändern, das wissen Sie; aber ich bitte, ich beschwöre Sie, nicht in die Oper zu fahren«, sagte er, beim Französischen verbleibend; seine Stimme klang zärtlich und flehend, aber sein Blick war kalt.
     
    Seine Worte hörte sie nicht; aber sie sah die Kälte seines Blickes und antwortete gereizt:
     
    »Und ich bitte Sie, mir zu erklären, warum ich nicht hinfahren soll.«
     
    »Sie setzen sich der Gefahr aus, daß ...« Er zauderte, weiterzusprechen.
     
    »Ich verstehe nicht, was Sie eigentlich meinen. Jaschwin n'est pas compromettant 1 , und die Prinzessin Warwara ist in keiner Hinsicht schlechter als andere Frauen. Und da ist sie auch schon.«
     
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    1 (frz.) Mit Jaschwin kompromittiert man sich nicht.
     

33
     
    Z um ersten Male empfand Wronski gegen Anna ein Gefühl des Ärgers, ja fast des Ingrimms wegen dieser absichtlichen Verkennung ihrer Lage. Dieses Gefühl wurde noch dadurch gesteigert, daß er ihr den Grund, weshalb er sich ärgerte, nicht wohl mitteilen konnte. Hätte er ihr offen sagen wollen, was er dachte, so hätte er sagen müssen, in dieser Kleidung mit der allgemein bekannten Prinzessin im Theater zu erscheinen, das wäre nicht nur ein Zugeständnis, daß sie eine Gefallene sei, sondern auch eine schroffe Herausforderung an die vornehme Gesellschaft, das heißt ein Bruch mit ihr für immer.
     
    Das konnte er ihr nicht sagen. ›Aber wie ist es nur möglich, daß sie das nicht einsieht? Und was geht in ihr vor?‹ fragte er sich selbst. Er fühlte, wie bei ihm gleichzeitig die Achtung vor ihr sich verminderte und die Bewunderung ihrer Schönheit noch zunahm.
     
    Mit finsterem Gesicht kehrte er wieder in sein Zimmer zurück und setzte sich zu Jaschwin, der seine langen Beine auf einen Stuhl gestreckt hatte und Kognak mit Selterswasser trank. Wronski ließ sich dasselbe Getränk bringen.
     
    »Du sprachst von Lankowskis Hengst Mogutschi. Das ist ein gutes Pferd, und ich kann dir nur raten, es zu kaufen«, sagte Jaschwin, der die finstere Miene seines Kameraden sehr wohl bemerkte. »Das Hinterteil hängt ein wenig; aber Beine und Kopf kann man sich gar

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