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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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der Zimmermann die gleiche Treppe beibehalten und drei Stufen hinzufügen.
     
    »Es wird so weit besser sein.«
     
    »Aber wo wird denn deine Treppe mit den drei Stufen endigen?«
     
    »Aber ich bitte Sie!« sagte der Zimmermann mit geringschätzigem Lächeln. »Ganz genau wird sie auftreffen. Nämlich wenn sie so von unten anfängt«, fuhr er mit erläuternden Handbewegungen fort, »so geht sie so weiter und dann so und kommt dann oben an.«
     
    »Aber die drei Stufen machen die Treppe doch auch länger ... Wo wird sie denn dann eigentlich auftreffen?«
     
    »Also, wenn sie nämlich von unten so geht, dann kommt sie so an«, sagte der Zimmermann hartnäckig in belehrendem Tone.
     
    »Unter die Decke und gegen die Wand wird sie gehen.«
     
    »Aber ich bitte Sie! So kommt sie von unten; sie geht so und dann so und trifft oben auf.«
     
    Ljewin langte sich seinen Ladestock und zeichnete ihm im Staube die Treppe auf.
     
    »Na, siehst du es nun?«
     
    »Wie Sie befehlen«, versetzte der Zimmermann, dessen Augen auf einmal aufleuchteten; offenbar hatte er die Sache endlich begriffen. »Da werden wir wohl eine neue Treppe machen müssen.«
     
    »Na also, dann mach es, wie ich gesagt habe!« rief Ljewin und stieg auf den Wagen. »Fahr zu! Halte die Hunde fest, Filipp!«
     
    Nachdem Ljewin nun alle Familien- und Wirtschaftsfragen hinter sich gelassen hatte, empfand er ein so starkes Gefühl von Lebensfreude und Erwartung, daß er keine Lust hatte zu reden. Außerdem befand er sich in jenem Zustand aufgeregter Spannung, der bei jedem Jäger eintritt, wenn er sich dem Jagdgebiet nähert. Wenn ihn jetzt etwas beschäftigte, so waren es nur solche Fragen: ob sie im Kolpenskischen Sumpfe etwas finden würden, wie sich Laska im Vergleich zu Crack bewähren und ob er selbst heute gut schießen werde. Wenn er sich nur nicht vor diesem neuen Ankömmling blamierte; wenn nur nicht Oblonski besser schoß als er! – auch diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
     
    Oblonski war in ähnlicher Stimmung und gleichfalls nicht zum Reden geneigt. Nur Wasenka Weslowski hörte mit seinem lustigen Geschwätz keinen Augenblick auf. Ljewin, der ihm zuhörte, schämte sich jetzt ordentlich, wenn er daran dachte, wie unrecht er ihm gestern getan hatte. Wasenka war wirklich ein prächtiger junger Mann, von natürlichem Wesen, gutherzig und sehr heiteren Gemütes. Wäre Ljewin noch als Junggeselle mit ihm zusammengetroffen, so würde er seine nähere Bekanntschaft gesucht haben. Seine Art, das Leben wie einen Festtag aufzufassen, und eine gewisse vornehme Ungezwungenheit mißfielen Ljewin einigermaßen. Es schien, als halte sich Weslowski deswegen für einen zweifellos bedeutenden Menschen, weil er lange Nägel trug, diese Mütze aufsetzte und seine sonstige Ausstattung damit übereinstimmte; aber das konnte man wegen seiner Gutherzigkeit und Biederkeit entschuldigen. Er gefiel Ljewin wegen seiner guten Erziehung, seiner vorzüglichen französischen und englischen Aussprache und dann auch, weil er der gleichen gesellschaftlichen Schicht angehörte.
     
    Wasenka fand außerordentliches Gefallen an dem donischen Steppenpferd, das als linkes Seitenpferd ging. Er äußerte fortwährend sein Entzücken über dieses Tier: »Wie schön muß es sein, auf einem solchen Steppenpferde über die Steppe dahinzujagen! Wie? Meinen Sie nicht auch?« sagte er. Er stellte sich unter einem Ritte auf einem Steppenpferde so etwas Wildes, Poetisches vor, so etwas ohne Zweck und Ziel; aber seine Knabenhaftigkeit hatte, namentlich auch im Verein mit seinem hübschen Äußern, seinem liebenswürdigen Lächeln und der Anmut seiner Bewegungen, etwas außerordentlich Anziehendes. Ob nun deswegen, weil sein ganzes Wesen Ljewin gefiel, oder deswegen, weil Ljewin, um seine gestrige Sünde wiedergutzumachen, bestrebt war, an ihm alles gut zu finden: genug, das Zusammensein mit ihm machte Ljewin Vergnügen.
     
    Als sie drei Werst weit gefahren waren, vermißte Weslowski auf einmal seine Zigarren- und seine Brieftasche und wußte nicht, ob er sie verloren oder auf dem Tische hatte liegenlassen. In der Brieftasche befanden sich dreihundertundsiebzig Rubel, und es ging daher nicht an, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
     
    »Wissen Sie was, Ljewin? Ich werde auf diesem donischen Seitenpferde schnell nach Hause reiten. Das wird wunderhübsch sein. Nicht wahr?« sagte er und machte schon Anstalten aufzusteigen.
     
    »Nicht doch, wozu denn?« erwiderte Ljewin, der

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