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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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Arkadjewitsch war noch nicht herangekommen, als auch schon eine Schnepfe aufflog. Weslowski fehlte sie, und die Schnepfe setzte sich in einiger Entfernung auf eine ungemähte Wiese. Aber diese Schnepfe war nun doch einmal für Weslowski bestimmt. Crack fand sie wieder, jagte sie auf, und Weslowski erlegte sie und kehrte zum Wagen zurück.
     
    »Jetzt, bitte, gehen Sie, und ich werde bei den Pferden bleiben«, sagte er.
     
    Ljewin überkam der Jagdneid; er übergab Weslowski die Zügel und ging in den Sumpf.
     
    Laska, die schon lange kläglich gewinselt und sich über die ungerechte Behandlung beklagt hatte, stürmte voran, gerade auf eine hoffnungerregende, ihrem Herrn schon von früher bekannte, mit kleinen Erdhöckern bedeckte Stelle los, zu der Crack noch nicht gekommen war.
     
    »Warum hältst du den Hund denn nicht zurück?« rief Stepan Arkadjewitsch.
     
    »Er wird keine verscheuchen«, antwortete Ljewin, der sich über seinen Hund freute und ihm nacheilte.
     
    Je näher Laska auf ihrer Suche den wohlbekannten Erdhöckern kam, um so ernster und eifriger wurde sie. Ein kleiner Sumpfvogel lenkte nur für einen kurzen Augenblick ihre Aufmerksamkeit ab. Sie beschrieb einen Kreis vor den Erdhöckern, begann einen zweiten und fuhr plötzlich zusammen und blieb regungslos stehen.
     
    »Komm, Stiwa, komm!« rief Ljewin. Er fühlte, wie sein Herz heftiger zu pochen begann und wie auf einmal, als wäre eine Art von Riegel in seinem stark angestrengten Gehörorgan beiseite geschoben, allerlei Geräusche, für deren Entfernung er jedoch den Maßstab verloren hatte, unklar, aber laut an sein Ohr schlugen. Er hörte Stepan Arkadjewitschs Schritte, hielt sie jedoch für fernes Pferdegetrappel; er hörte das leise, knirschende Geräusch von der Ecke eines grasbewachsenen Erdhöckers, auf die er getreten war und die sich nun mitsamt den Wurzeln loslöste, und nahm dieses Geräusch für den Flügelschlag einer Schnepfe; er hörte auch nicht weit hinter sich im Wasser irgendein Plätschern, über dessen Ursprung er sich keine Rechenschaft geben konnte.
     
    Sorgsam die Stellen aussuchend, wo er die Füße hinsetzen konnte, rückte er dem Hunde näher.
     
    »Faß!«
     
    Es war keine Schnepfe, sondern eine Bekassine, die vor dem Hund aufflog. Ljewin hob das Gewehr in die Höhe; aber gerade in dem Augenblick, wo er zielte, wurde eben jenes plätschernde Geräusch im Wasser stärker und kam näher, und es vereinigte sich damit die Stimme Weslowskis, der irgend etwas auffällig laut rief. Ljewin sah zwar, daß er hinter die Schnepfe zielte, schoß aber dennoch.
     
    Nachdem Ljewin sich überzeugt hatte, daß es ein Fehlschuß gewesen war, schaute er sich um und sah, daß die Pferde mit dem Jagdwagen nicht mehr auf dem Wege, sondern im Sumpf waren.
     
    In dem Wunsche, dem Schießen zuzusehen, war Weslowski so weit in den Sumpf hineingefahren, daß die Pferde darin steckengeblieben waren.
     
    »Hol ihn der Teufel!« murmelte Ljewin vor sich hin, während er zu dem festsitzenden Wagen zurückkehrte. »Warum sind Sie denn hierhergefahren?« sagte er in trockenem Ton zu ihm, rief dann den Kutscher herbei und machte sich daran, die Pferde herauszubringen.
     
    Ljewin ärgerte sich, weil er im Schießen gestört worden war und weil seine Pferde in den Sumpf hineingeführt waren, hauptsächlich aber, weil weder Stepan Arkadjewitsch noch Weslowski ihm und dem Kutscher behilflich waren, die Pferde auszuspannen und herauszubringen, da weder der eine noch der andere den geringsten Begriff davon hatte, wie ein Pferd angeschirrt ist. Ohne dem schuldigen Wasenka auf seine Beteuerung, daß es da ganz trocken gewesen sei, auch nur eine Silbe zu erwidern, arbeitete Ljewin mit dem Kutscher schweigend, um die Pferde herauszubekommen. Aber dann, als er bei der Arbeit warm geworden war und sah, mit welcher Anstrengung und welchem Eifer Weslowski den Wagen an dem einen Kotflügel zog, so daß er ihn sogar abbrach, da machte sich Ljewin Vorwürfe, daß er unter der Nachwirkung seines gestrigen Grolles doch wohl zu kalt gegen Weslowski gewesen sei, und bemühte sich, seine Unfreundlichkeit durch besondere Liebenswürdigkeit wiedergutzumachen. Als alles in Ordnung gebracht und der Wagen wieder auf den Fahrweg geschafft war, ließ Ljewin das Frühstück hervorholen.
     
    »Bon appétit, bonne conscience!« 1 sagte Wasenka, der wieder ganz vergnügt geworden war, mit einem französischen Scherzworte und fügte, da er gerade sein zweites Hühnchen

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