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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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nicht recht zu sehen bekommen. Ihr könnt ja übermorgen fahren«, meinte Kitty.
     
    Ljewin war jetzt schon so weit gekommen, daß er sich Kittys Worte auf folgende Art auslegte: ›Trenne mich nicht von ihm! Ob du fortfährst oder nicht, ist mir gleichgültig; aber gib mir die Möglichkeit, die Gesellschaft dieses reizenden jungen Mannes zu genießen.‹
     
    »Gewiß, gewiß, wenn du es wünschst, bleiben wir morgen hier«, antwortete Ljewin mit besonderer Freundlichkeit.
     
    Unterdessen war Wasenka, ohne das geringste von den Leiden zu ahnen, die seine Anwesenheit verursachte, nach Kitty gleichfalls vom Tische aufgestanden und ging hinter ihr her, wobei er sie mit einem lächelnden, freundlichen Blick betrachtete.
     
    Ljewin sah diesen Blick. Er wurde ganz blaß und konnte eine Weile nicht Atem holen. ›Wie kann dieser Mensch es sich erlauben, meine Frau so anzusehen!‹ dachte er, während es in ihm kochte.
     
    »Also morgen? Ach ja, fahren wir!« sagte Wasenka, setzte sich auf einen Stuhl und schlug nach seiner Gewohnheit wieder das eine Bein unter.
     
    Ljewins Eifersucht wuchs immer mehr. Schon sah er sich als betrogener Ehemann, den die Frau und ihr Liebhaber nur dazu nötig hatten, daß er ihnen die Bequemlichkeiten und Vergnügungen des Lebens beschaffte ... Aber trotzdem befragte er Wasenka in liebenswürdiger, gastfreundlicher Weise nach seinen Jagden, nach seiner Flinte, nach seinen Stiefeln und erklärte sich damit einverstanden, morgen zu fahren.
     
    Zu Ljewins Glück machte die alte Fürstin seinen Leiden dadurch ein Ende, daß sie selbst aufstand und auch ihrer Tochter Kitty riet, nun schlafen zu gehen. Aber auch dabei ging es nicht ohne eine neue Qual für Ljewin ab. Als Wasenka der Hausfrau gute Nacht sagte, wollte er wieder die Hand küssen; aber Kitty zog sie errötend weg und sagte mit naiver Unhöflichkeit, für die sie nachher von der Mutter gescholten wurde:
     
    »Das ist bei uns nicht üblich.«
     
    In Ljewins Augen hatte sie schon einen Fehler begangen, weil sie ein derartiges Benehmen überhaupt hatte aufkommen lassen, und einen noch größeren, weil sie in so ungeschickter Weise zeigte, daß ihr dieses Benehmen nicht gefiel.
     
    »Aber wie kann man überhaupt jetzt schlafen gehen!« meinte Stepan Arkadjewitsch, der beim Abendessen einige Gläser Wein getrunken hatte und dadurch in seine vergnügteste, poetischste Stimmung gelangt war. »Sieh mal, Kitty«, sagte er und wies auf den Mond, der hinter den Linden heraufkam, »wie wunderhübsch! Weslowski, das wäre so die richtige Zeit für eine Serenade. Weißt du, er hat eine prächtige Stimme. Er und ich, wir haben unterwegs in einem fort gesungen. Er hat ein paar sehr schöne, neue Lieder mitgebracht. Die sollte er einmal mit Warwara Andrejewna zusammen singen.«
     
    Nachdem alle sich auf ihr Zimmer zurückgezogen hatten, ging Stepan Arkadjewitsch noch lange mit Weslowski in der Allee auf und ab, und man hörte sie eines der neuen Lieder singen.
     
    Auch Ljewin hörte ihre Stimmen, als er mit gerunzelter Stirn im Schlafzimmer seiner Frau auf einem Sessel saß und auf all ihre Fragen, was denn eigentlich mit ihm sei, hartnäckig schwieg; aber als sie ihn schließlich selbst mit einem zaghaften Lächeln fragte: »Hat dir vielleicht an Weslowski etwas mißfallen?« da brach bei ihm der Damm, und er sagte ihr alles frei heraus; durch die eigenen Ausdrücke, deren er sich bediente, fühlte er sich beleidigt und geriet so in immer größere Wut.
     
    Er stand vor ihr mit finster zusammengezogenen Brauen, unter denen die Augen schrecklich hervorfunkelten, und preßte die starken Hände gegen seine Brust, als müßte er alle seine Kräfte anstrengen, um sich zurückzuhalten. Der Ausdruck seines Gesichtes wäre hart, ja grausam gewesen, wenn er nicht zugleich auch hätte eine innere Qual erkennen lassen, von der sich Kitty gerührt fühlte. Seine Kinnbacken bebten, und die Stimme gehorchte ihm nicht.
     
    »Du kannst dir wohl selbst sagen, daß ich nicht eifersüchtig bin; das ist ein ekelhaftes Wort. Ich kann nicht eifersüchtig sein und glauben, daß ... Ich kann mein Gefühl nicht ausdrücken, aber es ist ein furchtbares Gefühl ... Ich bin nicht eifersüchtig; aber ich fühle mich gekränkt, beleidigt dadurch, daß jemand zu denken wagt ... daß jemand dich mit solchen Blicken anzusehen wagt ...«
     
    »Mit welchen Blicken denn?« fragte Kitty und bemühte sich mit größtmöglicher Gewissenhaftigkeit, sich alle Reden und Gesten des

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