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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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Bis zum Essen war noch viel Zeit, das Wetter war prachtvoll, und daher wurden mehrere Mittel verschiedener Art in Vorschlag gebracht, um die noch übrigen zwei Stunden auszufüllen. Mittel, die Zeit hinzubringen, gab es in Wosdwischenskoje in großer Menge, und sie waren alle von anderer Art als die in Pokrowskoje üblichen.
     
    »Une partie de lawn-tennis? 3 « schlug Weslowski mit seinem hübschen Lächeln vor. »Ich spiele wieder mit Ihnen, Anna Arkadjewna.«
     
    »Nein, dazu ist es zu heiß. Wir wollen lieber einen kleinen Spaziergang im Garten machen und dann Kahn fahren; wir müssen doch Darja Alexandrowna unsere Ufer zeigen«, schlug Wronski vor.
     
    »Ich bin mit allem einverstanden«, erklärte Swijaschski.
     
    »Ich denke, es wird Dolly am angenehmsten sein, einen kleinen Spaziergang zu machen, nicht wahr? Und dann können wir ja Kahn fahren«, meinte Anna.
     
    Hierfür entschied man sich. Weslowski und Tuschkewitsch gingen nach dem Badehäuschen und versprachen, dort den Kahn in Bereitschaft zu setzen und auf die übrigen zu warten.
     
    Sie gingen in zwei Paaren auf einem Gartenwege: Anna mit Swijaschski und Dolly mit Wronski. Dolly war etwas verlegen und befangen infolge der ihr völlig neuen Umwelt, in die sie hineingeraten war. Vom Standpunkt allgemeinerer Betrachtung aus entschuldigte sie Annas Handlungsweise nicht nur, sondern billigte sie sogar. Wie das Frauen von tadelloser Sittlichkeit, durch die Einförmigkeit des sittlichen Lebens ermüdet, überhaupt nicht selten tun, hatte sie aus der Entfernung nicht nur nachsichtig über die verbrecherische Liebe geurteilt, sondern sogar einen gewissen Neid empfunden. Außerdem war sie ihrer Schwägerin Anna von ganzem Herzen zugetan. Aber als sie sie nun im wirklichen Leben inmitten dieser ihr fremden Menschen erblickte, die sich eines ihr neuen gesellschaftlichen Tones bedienten, da wurde ihr denn doch unbehaglich zumute. Besonders unangenehm war es ihr, zu sehen, wie die Prinzessin Warwara zum Dank für die wirtschaftlichen Vorteile, die sie genoß, den beiden alles verzieh.
     
    Und wenn Dolly auch im allgemeinen, theoretisch, Annas Handlungsweise billigte, so war es ihr doch unangenehm, den Mann zu sehen, um dessentwillen sie so gehandelt hatte. Außerdem hatte Wronski ihr niemals gefallen. Sie hielt ihn für sehr stolz und sah doch an ihm nichts, worauf er hätte stolz sein dürfen, mit Ausnahme seines Reichtums. Aber gegen ihren Willen machte er Eindruck auf sie, hier bei sich zu Hause, mehr als früher, und sie vermochte in seiner Gesellschaft nicht unbefangen zu sein. Sie hatte vor ihm eine ähnliche Empfindung wie vor der Kammerjungfer wegen der Nachtjacke. Wie sie sich bei der Kammerjungfer wegen der geflickten Nachtjacke zwar nicht eigentlich geschämt, aber doch unbehaglich gefühlt hatte, so bei Wronski wegen ihres eigenen Ich.
     
    Dolly suchte in ihrer Verlegenheit nach einem Gesprächsstoff. Sie glaubte zwar, daß ihm bei seinem Stolz ein Lob seines Hauses und Gartens unangenehm sein werde; aber da sie keinen anderen Gegenstand fand, so sagte sie doch zu ihm, sein Haus habe ihr sehr gefallen.
     
    »Ja, es ist ein sehr schönes Gebäude, und in gutem altem Stil«, antwortete er.
     
    »Besonders hat mir der Hof vor dem Tor gefallen. War der von jeher so?«
     
    »O nein«, erwiderte er, und sein Gesicht leuchtete auf vor Freude. »Wenn Sie diesen Hof in diesem Frühjahr gesehen hätten!«
     
    Und er begann, zuerst mit einer gewissen Zurückhaltung, aber dann immer mehr und mehr von seinem Gegenstand hingerissen, sie auf allerlei Einzelheiten in der Ausschmückung des Hauses und des Gartens aufmerksam zu machen. Es war deutlich, daß Wronski, nachdem er soviel Mühe auf die Verbesserung und Verschönerung seines Landsitzes verwendet hatte, nun auch das Bedürfnis empfand, sich einer neuen Persönlichkeit gegenüber des Erreichten zu rühmen; er freute sich von Herzen über Darja Alexandrownas Lobsprüche.
     
    »Wenn Sie Lust haben, sich das Krankenhaus anzusehen, und nicht zu müde sind – es ist nicht weit. Wollen wir hingehen?« fragte er und blickte ihr ins Gesicht, wie um sich zu überzeugen, daß es ihr auch wirklich nicht zuwider sei.
     
    »Kommst du auch mit, Anna?« wandte er sich an diese.
     
    »Wir wollen auch mitgehen, nicht wahr?« sagte sie zu Swijaschski. »Mais il ne faut pas laisser le pauvre Weslowski et Tuschkewitsch se morfondre là dans le bateau. 4 Wir müssen hinschicken und es ihnen sagen lassen. – Ja, das

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