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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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einen so großen Einfluß auf Anna, und sie liebt Sie so von Herzen«, sagte er; »helfen Sie mir!«
     
    Darja Alexandrowna blickte schüchtern fragend in sein energisches Gesicht, das in der schattigen Lindenallee bald ganz, bald teilweise in das Licht der durch das Laub dringenden Sonnenstrahlen trat, bald wieder von den Schatten verdunkelt wurde, und wartete, was er weiter sagen werde; aber er ging schweigend neben ihr her und ließ seinen Spazierstock über den Kies hinschleifen.
     
    »Da Sie zu uns gekommen sind, Sie als die einzige von Annas früheren Freundinnen (die Prinzessin Warwara zähle ich nicht mit), so verstehe ich sehr wohl, daß Sie das nicht etwa getan haben, weil Ihnen unsere Lage als eine normale erschiene, sondern weil Sie, bei voller Erkenntnis der ganzen Peinlichkeit dieser Lage, Anna doch noch liebhaben und ihr helfen wollen. Habe ich Sie richtig verstanden?« fragte er, indem er sie anblickte.
     
    »Ja, gewiß«, erwiderte Darja Alexandrowna und machte ihren Sonnenschirm zu. »Aber ...«
     
    »Glauben Sie«, unterbrach er sie und blieb unwillkürlich stehen; er vergaß völlig, daß er dadurch seine Begleiterin in eine wunderliche Lage brachte und sie nun gleichfalls stehenbleiben mußte, »niemand empfindet mehr und stärker als ich die ganze Peinlichkeit der Lage Annas. Und das ist ja auch begreiflich, wenn anders Sie mir die Ehre erweisen, mich für einen Mann zu halten, der ein Herz in der Brust hat. Ich bin an dieser Lage schuld, und daher empfinde ich sie so schwer.«
     
    »Ich verstehe das«, erwiderte Darja Alexandrowna, die ihn unwillkürlich bewunderte, mit welcher Offenheit und Festigkeit er das aussprach. »Aber ebendeshalb, weil Sie die Empfindung haben, daß Sie daran schuld sind, übertreiben Sie, möchte ich meinen. Daß Annas Stellung in der Gesellschaft peinlich ist, weiß ich allerdings.«
     
    »Die Gesellschaft ist für sie geradezu eine Hölle!« sagte er schnell mit finsterem Gesicht. »Man kann sich keine ärgeren Seelenqualen vorstellen als die, die sie in Petersburg während jener zwei Wochen hat durchmachen müssen. Davon wollen Sie überzeugt sein.«
     
    »Ja, aber hier, solange weder Anna noch Sie nach der Gesellschaft Verlangen tragen ...«
     
    »Nach der Gesellschaft!« rief er verächtlich. »Wie kann ich nach der Gesellschaft Verlangen tragen?«
     
    »Solange (und vielleicht bleibt das immer so) sind Sie ja doch glücklich und ruhig. Ich merke es Anna an, daß sie glücklich, vollkommen glücklich ist, und sie hat es mir gegenüber auch schon selbst ausgesprochen«, sagte Darja Alexandrowna lächelnd; aber gerade während sie das sagte, begann sie zu zweifeln, ob Anna auch wohl wirklich glücklich sei.
     
    Aber Wronski, wie es schien, zweifelte daran nicht.
     
    »Ja, ja«, versetzte er. »Ich weiß, daß sie nach allen ihren Leiden hier wieder aufgelebt ist; sie ist glücklich. Sie ist glücklich über den gegenwärtigen Zustand. Aber ich? ... ich fürchte das, was uns in der Zukunft erwartet ... Verzeihung, Sie möchten weitergehen?«
     
    »Nicht doch, es ist mir ganz gleich.«
     
    »Nun, dann setzen wir uns hier.«
     
    Darja Alexandrowna setzte sich auf eine Gartenbank in einem Winkel der Allee. Wronski blieb vor ihr stehen.
     
    »Ich sehe, daß sie glücklich ist«, sagte er noch einmal, und der Zweifel, ob sie auch wirklich glücklich ist, regte sich bei Darja Alexandrowna noch stärker. »Aber kann das so fortdauern? Ob wir gut oder schlecht gehandelt haben, ist eine andere Frage; aber der Würfel ist geworfen« (hier ging er vom Russischen zum Französischen über), »und wir sind für das ganze Leben miteinander verbunden. Wir sind vereint durch die heiligsten Bande, die es für uns gibt, durch die Bande der Liebe. Wir haben ein Kind; es können uns noch mehr Kinder geboren werden. Aber das Gesetz und die gesamte Beschaffenheit unserer Lage bringen es mit sich, daß tausend Verwicklungen und Schwierigkeiten eintreten können, die sie jetzt, wo sie sich nach all den Leiden und Prüfungen seelisch erholt, nicht sieht und nicht sehen kann. Und das ist durchaus begreiflich. Ich aber kann gegen diese Schwierigkeiten und Verwicklungen nicht blind sein. Meine Tochter ist dem Gesetze nach nicht meine Tochter, sondern eine Karenina. Ich will diesen Betrug nicht!« rief er mit einer energisch zurückweisenden Handbewegung und richtete einen finster fragenden Blick auf Darja Alexandrowna.
     
    Sie antwortete nicht und sah ihn nur an. Er fuhr

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