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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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nicht mit ihr davon sprechen, ja, ich kann es kaum.«
     
    »Gut, ich will mit ihr reden. Aber wie geht es nur zu, daß sie nicht von selbst auf diesen Gedanken kommt?« fragte Darja Alexandrowna, und während sie das sagte, mußte sie infolge einer unklaren Gedankenverbindung an Annas neue Angewohnheit denken, die Augen zusammenzukneifen. Und es fiel ihr ein, daß Anna gerade dann die Augen zusammenkniff, wenn das Gespräch die innersten Lebensfragen berührte. ›Gerade wie wenn sie die Augen vor ihrem eigenen Leben zukniffe, um nicht alles zu sehen‹, dachte Dolly.
     
    »Sie können sich darauf verlassen, ich werde um ihretwillen und um meiner selbst willen mit ihr sprechen«, antwortete sie auf seine Dankbarkeitsversicherung.
     
    Sie standen auf und gingen zum Hause.
     
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    1 (frz.) Das ist keineswegs ein letzter Ausweg.
     
    2 (frz.) daß es notwendig wird, sich über alle diese Empfindlichkeiten hinwegzusetzen. Es geht um das Glück und um die Existenz Annas und ihrer Kinder.
     

22
     
    A ls Anna Dolly schon zu Hause fand, blickte sie ihr forschend in die Augen, wie wenn sie nach dem Gespräch fragen wollte, das Dolly mit Wronski geführt hatte; aber mit Worten fragte sie nicht danach.
     
    »Ich glaube, es ist schon Zeit zum Abendessen«, sagte sie. »Wir haben uns eigentlich noch gar nicht recht gesehen. Ich rechne aber auf den Abend. Jetzt muß ich mich umkleiden gehen. Ich denke mir, du wirst das auch wollen. Wir haben uns alle bei dem Neubau schmutzig gemacht.«
     
    Dolly ging in ihr Zimmer und mußte beinahe über sich selbst lachen. Sich umzukleiden, dazu hatte sie keine Möglichkeit, da sie schon ihr bestes Kleid auf dem Leibe hatte; aber um wenigstens irgendwie anzudeuten, daß sie sich zum Essen anders kleide, ersuchte sie die Kammerjungfer, ihr das Kleid zu säubern, wechselte die Ärmelaufschläge und die Vorsteckschleife und legte sich ein Spitzentuch über den Kopf.
     
    »Das ist alles, was ich tun konnte«, sagte sie lächelnd zu Anna, die in einem dritten, wieder außerordentlich einfachen Kleide zu ihr ins Zimmer trat.
     
    »Ja, wir sind hier gar zu sehr in das Formenwesen hineingeraten«, versetzte sie, als wollte sie sich wegen ihres Aufwandes entschuldigen. »Alexei freut sich über deinen Besuch so herzlich, wie er sich selten über etwas freut. Er ist entschieden in dich verliebt«, fügte sie hinzu. »Aber bist du auch nicht müde?«
     
    Vor dem Essen war keine Zeit mehr, über irgend etwas zu sprechen. Als sie in den Salon traten, fanden sie dort bereits die Prinzessin Warwara und die Herren vor, diese im schwarzen Oberrock. Der Baumeister war im Frack. Wronski stellte der Neuangekommenen den Arzt und den Verwalter vor. Mit dem Baumeister hatte er sie schon im Krankenhause bekannt gemacht.
     
    Der dicke Haushofmeister, der mit seinem runden, glattrasierten Gesicht und mit seiner steifgestärkten weißen Schleife einen gewichtigen Eindruck machte, meldete, daß aufgetragen sei, und die Damen erhoben sich. Wronski bat Swijaschski, seinen Arm Anna Arkadjewna zu reichen; er selbst trat zu Dolly. Weslowski bot, dem nicht so flinken Tuschkewitsch zuvorkommend, der Prinzessin Warwara den Arm, so daß Tuschkewitsch, der Verwalter, der Baumeister und der Arzt keine Damen zu führen hatten.
     
    Das Diner stand, was den Speisesaal, das Geschirr, die Bedienung, die Weine und Speisen anlangte, nicht nur mit dem gesamten in diesem Hause herrschenden modernen Luxus im Einklang, sondern schien sogar noch verschwenderischer und moderner zu sein als das übrige. Darja Alexandrowna achtete aufmerksam auf diesen ihr neuen Luxus, und obgleich sie nicht hoffen konnte, jemals etwas von all dem hier Gesehenen bei sich zu Hause zur Anwendung zu bringen (so hoch stand dies alles in seiner Kostspieligkeit über dem Zuschnitte ihres eigenen Lebens), so suchte sie doch unwillkürlich als Hausfrau, die eine Wirtschaft leitete, alle Einzelheiten zu ergründen und legte sich die Frage vor, wer wohl all das in Ordnung halte und wie er das anstelle. Wasenka Weslowski und ihr Mann und sogar Swijaschski und viele Leute, die sie kannte, dachten darüber niemals nach und glaubten ohne weiteres, was jeder ordentliche Hausherr seine Gäste glauben machen möchte: daß alles, was bei ihm so schön eingerichtet sei, ihn, den Hausherrn, keinerlei Mühe gekostet, sondern sich ganz von selbst gemacht habe. Darja Alexandrowna dagegen wußte, daß von selbst nicht einmal der Frühstücksbrei der Kinder zustande kommt

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