Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
fort:
»Wenn mir ein Sohn geboren werden sollte, so ist er nach dem Gesetze ein Karenin und kann weder meinen Namen noch mein Vermögen erben; und mögen wir ein noch so glückliches Familienleben führen und noch so viele Kinder haben, so wird doch zwischen mir und ihnen kein gesetzliches Band bestehen; sie führen den Familiennamen Karenin. Stellen Sie sich nur vor, wie drückend und entsetzlich diese Lage ist! Ich habe versucht, mit Anna darüber zu reden. Aber es regt sie zu sehr auf. Sie hat kein volles Verständnis dafür, und gerade ihr gegenüber kann ich nicht alles aussprechen. Betrachten Sie, bitte, die Sache jetzt auch noch von einer andern Seite. Ich bin glücklich, glücklich durch ihre Liebe; aber ich muß eine Tätigkeit haben. Eine solche Tätigkeit habe ich gefunden und bin stolz auf diese Tätigkeit und halte sie für achtenswerter als die Tätigkeit meiner früheren Kameraden bei Hofe und im Militärdienste. Und ich würde zweifellos nicht mehr mit ihnen tauschen mögen. Ich arbeite hier ruhig auf meinem Grund und Boden und bin glücklich und zufrieden, und wir haben weiter nichts zu unserm Glücke nötig. Diese Tätigkeit sagt mir durchaus zu. Cela n'est pas un pis- aller 1 , ganz im Gegenteil ...«
Darja Alexandrowna merkte, daß er in diesem Teil seiner Auseinandersetzung nicht geradlinig blieb, und begriff nicht recht den Grund seiner Abschweifung; aber sie hatte die Empfindung, da er nun einmal angefangen habe, von seinen innersten Regungen zu reden, von denen er mit Anna nicht sprechen konnte, so wolle er sich jetzt auch alles vom Herzen reden, und die Angelegenheit seiner Tätigkeit auf dem Gute befinde sich in demselben Schubfach der geheimen Gedanken wie die Angelegenheit seines Verhältnisses zu Anna.
»Also ich fahre fort«, sagte er, seine Gedanken sammelnd. »Die Hauptsache ist doch, daß man bei seiner Arbeit die Sicherheit hat, daß das, was man gewirkt hat, nicht mit einem stirbt, sondern von Erben übernommen wird – und das ist eben bei mir nicht der Fall. Versetzen Sie sich in die Lage eines Mannes, der vorher weiß, daß die Kinder, die ihm die geliebte Frau gebiert, nicht ihm gehören werden, sondern einem anderen, einem, der sie haßt und von ihnen nichts wissen will. Ist das nicht entsetzlich?«
Er schwieg, augenscheinlich in heftiger Erregung.
»Ja, gewiß, ich verstehe das durchaus. Aber was kann dabei Anna tun?« fragte Darja Alexandrowna.
»Ja, das bringt mich auf den Zweck, den ich bei diesem Gespräch im Auge hatte«, sagte er, indem er sich mit Gewalt zwang, ruhig zu sein. »Anna hat es in der Hand; es hängt von ihr ab ... Sogar um beim Kaiser die Erlaubnis zur Adoption des Kindes nachzusuchen, ist die Ehescheidung die unerläßliche Vorbedingung. Und die Scheidung hängt von Anna ab. Annas Mann war mit der Scheidung einverstanden; ihr Gemahl hatte damals die Sache so gut wie erledigt. Und auch jetzt würde er sich nicht weigern, das weiß ich. Es ist weiter nichts nötig, als daß er schriftlich darum ersucht wird. Er hatte damals geradezu erklärt, er werde sich nicht weigern, wenn sie den Wunsch ausdrücken sollte. Natürlich«, sagte er mit finsterer Miene, »ist das weiter nichts als eine jener pharisäischen Grausamkeiten, deren nur solche herzlose Menschen fähig sind. Er weiß, welche Qualen ihr jede Erinnerung an ihn bereitet, und eben weil er Anna kennt, verlangt er von ihr einen solchen Brief. Ich fühle ihr nach, daß das eine Qual für sie ist. Aber die Gründe, die für die Abfassung des Briefes in die Waagschale fallen, sind so schwerwiegend, daß es notwendig wird passer par-dessus toutes ces finesses de sentiment. Il y va du bonheur et de l'existence d'Anne et de ses enfants. 2 Von mir will ich dabei nicht reden, obgleich auch ich schwer daran zu tragen habe, sehr schwer.« Das klang fast, als drohe er jemandem eine Strafe dafür an, daß er so schwer zu tragen habe. »Und darum, Fürstin, greife ich ohne falsche Scham nach Ihrer helfenden Hand wie nach einem Rettungsanker. Helfen Sie mir Anna überreden, daß sie an ihn schreibt und die Scheidung verlangt!«
»Ja, natürlich«, antwortete Darja Alexandrowna nachdenklich und erinnerte sich lebhaft an ihr letztes Zusammensein mit Alexei Alexandrowitsch. »Ja, natürlich«, sagte sie noch einmal in entschiedenem Tone, als ihr das Bild Annas vor die Seele trat.
»Versuchen Sie, was Sie über sie vermögen; veranlassen Sie sie, den Brief zu schreiben. Ich mag
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