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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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Lächeln. »Mais pardon, il est un petit peu toqué 5 ; so behauptet er zum Beispiel, die Kreistage und die Friedensrichter, das sei alles überflüssig, und mag sich an nichts beteiligen.«
     
    »Das ist unsere russische Gleichgültigkeit«, sagte Wronski und goß sich Eiswasser aus einer Flasche in ein schlankes, hochstengliges Glas, »kein Gefühl für die Pflichten zu besitzen, die uns durch unsere Rechte auferlegt werden, und sich infolgedessen diesen Pflichten zu entziehen.«
     
    »Ich kenne keinen Menschen, der es mit der Erfüllung seiner Pflichten strenger nähme als Ljewin«, entgegnete Darja Alexandrowna, gereizt durch diesen überlegenen Ton Wronskis.
     
    »Ich dagegen«, fuhr Wronski fort, bei dem dieses Gespräch offenbar an eine empfindliche Stelle rührte, »ich dagegen, wie Sie mich hier sehen, bin sehr dankbar für die Ehre, die man mir erwiesen hat, indem man mich dank Nikolai Iwanowitschs Bemühungen« (er wies auf Swijaschski) »zum Ehrenfriedensrichter gewählt hat. Ich bin der Ansicht, daß die Pflicht, an den Versammlungen teilzunehmen und die Streitsache eines Bauern wegen eines Pferdes zu erwägen, für mich ebenso wichtig ist wie überhaupt etwas; was im Bereich meiner Tätigkeit liegt. Und ich werde es mir zur Ehre anrechnen, wenn man mich zum Abgeordneten wählen sollte. Nur dadurch kann ich eine Art von Gegenleistung für die Vorteile gewähren, die ich als Grundbesitzer genieße. Leider mangelt es vielfach an Verständnis für die Bedeutung, die die Großgrundbesitzer im Staate haben müßten.«
     
    Es war für Darja Alexandrowna eine seltsame Empfindung, zu hören, wie sicher Wronski hier in seinem Hause und an seinem Tische sich dessen fühlte, daß seine Ansicht die richtige war. Sie erinnerte sich, daß Ljewin, der die entgegengesetzte Meinung hegte, bei sich zu Hause und an seinem Tische ebenso entschieden in seinem Urteil gewesen war. Aber sie hatte Ljewin gern und stand daher auf seiner Seite.
     
    »Wir können also für die nächste Versammlung auf Sie rechnen, Graf?« fragte Swijaschski. »Aber Sie müßten recht früh hinfahren, so daß Sie schon am Achten da sind. Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollten, mit mir zusammen hinzufahren ...«
     
    »Ich bin ziemlich derselben Ansicht wie dein Schwager«, sagte Anna. »Nur aus etwas anderen Gründen als er«, setzte sie lächelnd hinzu. »Ich fürchte, daß in letzter Zeit bei uns in Rußland diese Pflichten gegen das Gemeinwohl gar zu zahlreich geworden sind. Während es früher eine Unmenge von Beamten gab und man für jede, auch die kleinste Tätigkeit einen Beamten für nötig hielt, wird jetzt alles durch Selbstverwaltung geleistet. Alexei wohnt jetzt erst sechs Monate hier und ist schon Mitglied von, ich glaube, fünf oder sechs verschiedenen Behörden der Selbstverwaltung: Kurator, Richter, Geschworener, irgend etwas beim Gestüt, und was nicht sonst noch alles. Du train que cela va 6 , wird seine ganze Zeit für diese Tätigkeit draufgehen. Und ich fürchte, bei einer solchen Menge derartiger Ämter wird alles zuletzt nur leere Form. Bei wie vielen solcher Einrichtungen sind Sie denn Mitglied, Nikolai Iwanowitsch?« wandte sie sich an Swijaschski. »Wohl bei mehr als zwanzig?«
     
    Was Anna sagte, sollte wie Scherz klingen, aber doch hörte man aus ihrem Ton eine gewisse Gereiztheit heraus. Darja Alexandrowna, die Anna und Wronski aufmerksam beobachtete, merkte das sofort. Es entging ihr auch nicht, daß Wronskis Gesicht bei diesem Gespräch sogleich einen ernsten, eigensinnigen Ausdruck angenommen hatte. Wenn ihr mit dieser Wahrnehmung auch noch aufgefallen war, daß die Prinzessin Warwara sofort, um die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand zu bringen, eilig von Petersburger Bekannten zu reden anfing, und wenn sie sich ferner noch daran erinnerte, daß Wronski so ganz ohne äußeren Anlaß im Garten über seine Tätigkeit zu reden begonnen hatte, so mußte sie notwendig auf den Gedanken kommen, daß über diesen Punkt, die Tätigkeit für das Gemeinwohl, ein geheimer Zwist zwischen Anna und Wronski bestand.
     
    Die Speisen, die Weine, die Bedienung, alles war sehr gut; aber alles war von jener Art, die Darja Alexandrowna von großen Mittagsgesellschaften und Bällen her kannte, Veranstaltungen, deren sie sich bereits entwöhnt hatte, und alles trug den bei solchen Veranstaltungen üblichen Charakter des Unpersönlichen und Förmlichen; und daher machte alles dies an einem gewöhnlichen Tage und in so kleinem

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