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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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Kreise auf sie einen unangenehmen Eindruck.
     
    Nach dem Essen saß die Gesellschaft ein Weilchen auf der Terrasse. Dann wurde Tennis gespielt. Die Mitspielenden teilten sich in zwei Parteien und stellten sich auf dem sorgsam geebneten und festgestampften Tennisplatz zu beiden Seiten eines ausgespannten Netzes mit vergoldeten Pfosten auf. Darja Alexandrowna machte einen Versuch mitzuspielen; aber lange Zeit vermochte sie das Spiel nicht zu verstehen, und als sie es schließlich doch glücklich verstanden hatte, war sie schon so müde, daß sie sich mit der Prinzessin Warwara hinsetzte und sich darauf beschränkte, den Spielenden zuzuschauen. Ihr Partner, Tuschkewitsch, hörte gleichfalls auf; die übrigen aber setzten das Spiel noch lange fort. Swijaschski und Wronski spielten beide sehr gut und nahmen die Sache sehr ernst. Sie verfolgten mit scharfem Auge den ihnen zugeschleuderten Ball, liefen ohne Übereilung und ohne Zaudern gewandt zu ihm hin, warteten, bis er wieder aufsprang, und schleuderten ihn dann durch einen geschickten, sicheren Schlag mit dem Schläger über das Netz zurück. Weslowski spielte schlechter als die anderen. Er wurde zu hitzig, aber dafür brachte er durch seine Heiterkeit Leben in das Spiel. Sein Lachen und Schreien verstummte keinen Augenblick. Er hatte, ebenso wie die andern Herren, mit Erlaubnis der Damen seinen Rock ausgezogen, und seine volle, hübsche Gestalt in den weißen Hemdärmeln, mit dem roten, schweißbedeckten Gesichte und den ruckartigen Bewegungen prägte sich unwillkürlich geradezu dem Gedächtnis ein.
     
    Als sich Darja Alexandrowna an diesem Abend schlafen legte, sah sie, sobald sie nur die Augen zumachte, Wasenka Weslowski vor sich, wie er auf dem Tennisplatz umherrannte.
     
    Während des Spieles aber war Darja Alexandrowna nicht eigentlich vergnügt. Es mißfiel ihr der auch hierbei fortdauernde Ton der Neckerei zwischen Wasenka Weslowski und Anna, auch das Unnatürliche, das sich stets fühlbar macht, wenn Erwachsene allein, ohne daß Kinder dabei sind, ein Kinderspiel spielen. Um aber bei den andern nicht Anstoß zu erregen und um die Zeit irgendwie auszufüllen, nahm sie, sobald sie sich wieder erholt hatte, von neuem an dem Spiel teil und tat so, als ob sie sehr vergnügt wäre. Diesen ganzen Tag über hatte sie fortwährend die Empfindung, als ob sie mit besseren Schauspielern als sie selbst zusammen Theater spiele und durch ihr schlechtes Spiel die ganze Sache verderbe.
     
    Sie war mit der Absicht gekommen, wenn sie sich wohl fühle, zwei Tage zu bleiben. Aber gleich am Abend beim Spiel beschloß sie, am folgenden Tage wieder zurückzufahren. Jene so leidvollen mütterlichen Sorgen, gegen die sie auf der Herfahrt einen solchen Haß empfunden hatte, erschienen ihr jetzt, nach einem einzigen Tage, den sie ohne diese Sorgen verlebt hatte, in einem ganz andern Lichte und hatten für sie etwas Lockendes.
     
    Als Darja Alexandrowna nach dem Abendtee und einer nächtlichen Kahnfahrt allein in ihr Zimmer trat, ihr Kleid auszog und sich hinsetzte, um ihr schon recht dünn gewordenes Haar für die Nacht zurechtzumachen, da empfand sie eine große Erleichterung.
     
    Es war ihr sogar ein unangenehmer Gedanke, daß in wenigen Augenblicken Anna zu ihr kommen werde. Sie wäre am liebsten mit ihren Gedanken allein geblieben.
     
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    1 (russ.) Einnahmen.
     
    2 (russ.) Mühen, Umstände.
     
    3 (frz.) Ich verehre das Deutsche.
     
    4 (frz.) Hören Sie auf.
     
    5 (frz.) Aber verzeihen Sie, er ist ein klein wenig verrückt.
     
    6 (frz.) Es dauert nicht lange.
     

23
     
    D olly wollte sich schon hinlegen, als Anna im Nachtkleide zu ihr ins Zimmer trat.
     
    Im Laufe des Tages hatte Anna mehrmals dazu angesetzt, von den Dingen, die ihre Seele beschäftigten, zu reden, hatte aber jedesmal nach einigen wenigen Worten wieder davon Abstand genommen. »Nachher, wenn wir miteinander allein sind, wollen wir über alles sprechen; ich habe dir so viel, so viel mitzuteilen«, hatte sie gesagt.
     
    Jetzt waren sie nun miteinander allein; aber Anna wußte nicht, wovon sie reden sollte. Sie saß am Fenster, blickte Dolly an und durchmusterte in ihrem Gedächtnisse jenen ganzen Vorrat von vertraulicheren Gesprächsstoffen, der ihr vorher unerschöpflich erschienen war, und fand nichts Geeignetes. Es schien ihr in diesem Augenblick, als habe sie schon alles gesagt.
     
    »Nun, wie geht es denn Kitty?« begann sie mit einem schweren Seufzer und blickte Dolly schuldbewußt an. »Sage

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