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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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außerordentliche Bedeutung. Es war vorgeschlagen worden, an Snetkows Stelle als Adelsmarschall Swijaschski zu setzen oder noch lieber den ehemaligen Professor Newjedowski, einen hervorragend klugen Mann, der mit Sergei Iwanowitsch sehr befreundet war.
     
    Eröffnet wurde die Versammlung von dem Gouverneur, der an die Edelleute eine Rede hielt: sie möchten sich bei der Wahl der Beamten nicht durch persönliche Gründe, sondern nur durch die Verdienste der Betreffenden und durch die Rücksicht auf das Wohl des Vaterlandes leiten lassen; er hoffe, daß der hochlöbliche Adel des Gouvernements Kaschin wie bei den früheren Wahlen so auch diesmal seine Pflicht gewissenhaft erfüllen und das hohe Vertrauen des Monarchen rechtfertigen werde.
     
    Nach Beendigung seiner Rede verließ der Gouverneur den Saal; die Edelleute folgten ihm geräuschvoll und in lebhafter Erregung, manche sogar in begeisterter Stimmung, und umringten ihn, während er seinen Pelz anzog und sich mit dem Gouvernements-Adelsmarschall freundschaftlich unterhielt. Ljewin, der in alles Einblick gewinnen und sich nichts entgehen lassen wollte, stand auch dort in dem dichten Schwarm und hörte, wie der Gouverneur sagte: »Bitte, bestellen Sie an Marja Iwanowna, meine Frau bedauere außerordentlich, aber sie müsse dem Armenhause einen Besuch machen.« Gleich darauf suchte sich jeder der Edelleute seinen Pelz heraus, und sie alle fuhren nach dem Dom.
     
    Im Dom leistete Ljewin, indem er mit den anderen die Hand erhob und die Worte des obersten Geistlichen nachsprach, einen höchst feierlichen Eid, alles das zu erfüllen, was der Gouverneur als seine Erwartung ausgesprochen hatte. Gottesdienstliche Handlungen machten auf Ljewin immer einen starken Eindruck, und als er die Worte sprach: »Ich küsse das Kreuz« und rings um sich diese Schar junger und alter Männer sah, die das gleiche wiederholten, fühlte er sich gerührt.
     
    Am zweiten und dritten Tage wurde über die Adelsgelder und über das Mädchengymnasium verhandelt, Dinge, die nach Sergei Iwanowitschs Aussage keinerlei Bedeutung hatten, und da Ljewin mit der Lauferei in seinen eigenen Angelegenheiten zu tun hatte, so wohnte er diesen Verhandlungen nicht bei. Am vierten Tage fand am Gouvernementstische eine Prüfung der Adelskasse statt. Und hierbei kam es zum ersten Male zu einem Zusammenstoße der neuen Partei mit der alten. Der Ausschuß, der mit der Prüfung der Kasse beauftragt war, berichtete der Versammlung, daß der Kassenbestand genau stimme. Der Gou vernements-Adelsmarschall stand auf, bedankte sich bei den Edelleuten für das ihm erwiesene Vertrauen und wurde dabei bis zu Tränen gerührt. Die Edelleute ergingen sich in lauten Zustimmungen und drückten ihm die Hand. In diesem Augenblick aber sagte ein zu Sergei Iwanowitschs Partei gehöriger Edelmann, er habe gehört, daß der Ausschuß die Kasse gar nicht geprüft habe, in der Meinung, eine solche Prüfung habe für den Gouvernements-Adelsmarschall etwas Kränkendes. Eines der Mitglieder des Ausschusses habe dies unvorsichtigerweise geäußert. Darauf sprach ein kleiner, dem Aussehen nach noch sehr junger, aber sehr giftiger Herr sich dahin aus, es würde dem Gouvernements-Adelsmarschall jedenfalls angenehm gewesen sein, über die Gelder Rechenschaft abzulegen, und nun gehe er infolge der übertriebenen Feinfühligkeit der Ausschußmitglieder dieser moralischen Befriedigung verlustig. Darauf bestritten die Ausschußmitglieder, jemals gesagt zu haben, daß die Kasse nicht geprüft sei, und nun begann Sergei Iwanowitsch folgerichtig zu beweisen, daß sie bestimmt erklären müßten, entweder daß sie die Kasse geprüft hätten oder daß sie es nicht getan hätten, und setzte diese Zwangslage eingehend auseinander. Ihm erwiderte dann ausführlich ein Redner der Gegenpartei. Dann sprach Swijaschski und nach ihm wieder der giftige Herr. Die Auseinandersetzung zog sich in die Länge und führte zu keinem Ergebnis. Ljewin wunderte sich, daß über diesen Gegenstand so lange gestritten wurde, namentlich da Sergei Iwanowitsch auf seine Frage, ob er denn glaube, daß Geld veruntreut sei, erwiderte:
     
    »Oh, nicht doch! Er ist ein ehrlicher Mensch. Aber wir mußten dieser altmodischen Gewohnheit einer patriarchalischen Behandlung von Adelssachen einen Stoß versetzen.«
     
    Am fünften Tage wurden die Wahlen der Kreis-Adelsmarschälle abgehalten. Dieser Tag war in mehreren Kreisen recht stürmisch. Im Kreise Selesnjew wurde Swijaschski ohne

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