Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
daß er sich oft in Fragen der Landwirtschaft und des Bauwesens, mitunter sogar in Fragen der Pferdezucht und des Sportes geradezu an sie wandte. Er war erstaunt über ihre Kenntnisse und über ihr Gedächtnis; anfangs bezweifelte er ihre Angaben manchmal und wünschte deren Bestätigung durch Druckschriften; aber sie fand dann immer beim Nachschlagen in den Büchern dasselbe, was sie ihm auf seine Fragen als Auskunft gegeben hatte, und konnte es ihm nachweisen.
Auch für die Einrichtung des Krankenhauses erwärmte sie sich. Sie half nicht nur, sondern richtete auch vieles selbständig ein und hatte dabei manche eigenen Gedanken. Aber ihre Hauptsorge blieb doch immer sie selbst: die Überlegung, wieweit sie Wronskis Liebe besitze und wie sie ihn für all das entschädigen könne, was er um ihretwillen aufgegeben habe. Wronski wußte diesen ihren Wunsch, der ihr einziger Lebenszweck geworden war, in seinem Werte zu würdigen, den Wunsch, ihm nicht nur zu gefallen, sondern ihm auch zu dienen; aber zugleich fühlte er sich auch durch das Liebesnetz, in das sie ihn zu verstricken suchte, belästigt. Je häufiger er sich im Laufe der Zeit durch dieses Netz behindert fühlte, um so stärker wurde bei ihm das Verlangen, nicht eigentlich sich davon loszumachen, aber doch zu versuchen, ob dadurch auch nicht seine Freiheit beeinträchtigt werde. Wäre nicht in ihm dieses immer wachsende Verlangen gewesen, frei zu sein, nicht jedesmal erst eine Szene durchmachen zu müssen, wenn er zu den Versammlungen oder zum Rennen nach der Stadt fahren mußte, so würde Wronski mit seinem Leben vollständig zufrieden gewesen sein. Die Rolle, die er sich ausgesucht hatte, die Rolle des reichen Grundbesitzers, also eines Angehörigen jenes Standes, von dem er meinte, daß er den eigentlichen Kern der russischen Aristokratie bilden müsse, diese Rolle entsprach nicht nur völlig seinem Geschmack, sondern gewährte ihm jetzt, nachdem er ein halbes Jahr so gelebt hatte, auch eine ständig zunehmende Befriedigung. Und seine Arbeit, die ihn immer mehr beschäftigte und erfreute, hatte vortrefflichen Erfolg. Trotz der gewaltigen Ausgaben, die das Krankenhaus und die Maschinen und die Kühe, die er sich aus der Schweiz hatte kommen lassen, und viele andere Dinge verursachten, sah er deutlich, daß er sein Vermögen nicht verminderte, sondern vermehrte. Wo es sich um Einnahmen handelte, beim Verkauf von Holz, Getreide, Wolle, beim Verpachten von Land, da war Wronski hart wie Stein und verstand es, seinen Preis zu behaupten. In den Hauptfragen des Wirtschaftsbetriebes hielt er sich sowohl bei diesem Gute wie bei seinen anderen Gütern an die einfachsten, mit möglichst geringem Wagnis verbundenen Wirtschaftsweisen und zeigte sich in den wirtschaftlichen Einzelheiten im höchsten Grade berechnend und sparsam. Trotz aller Schlauheit und Gewandtheit seines deutschen Verwalters, der ihn zu Ankäufen veranlassen wollte und dabei jeden Kostenanschlag so aufstellte, daß man zunächst eine sehr große Summe für erforderlich halten mußte und erst nach näherer Prüfung merkte, es lasse sich doch billiger einrichten und ein sofortiger Gewinn erzielen, ließ sich Wronski durch ihn nicht beeinflussen. Er hörte an, was der Verwalter vorbrachte, stellte eingehende Fragen und stimmte ihm nur dann zu, wenn das, was sie kommen lassen oder einrichten wollten, etwas wirklich Neues und in Rußland noch Unbekanntes war, was Aufsehen erregen konnte. Überdies entschloß er sich zu größeren Ausgaben nur dann, wenn er Geld flüssig hatte, erkundigte sich vor solchen Ausgaben über alle Einzelheiten und bestand darauf, daß er für sein Geld dann auch wirklich nur das Allerbeste bekam. Daher war klar, daß bei der Art, wie er die Sache betrieb, sein Vermögen nicht abnehmen konnte, sondern wachsen mußte.
Im Oktober sollten die Adelswahlen im Gouvernement Kaschin abgehalten werden, wo die Güter Wronskis, Swijaschskis, Kosnüschews, Oblonskis und ein kleiner Teil des Besitztums Ljewins lagen.
Diese Wahlen zogen wegen vieler Umstände und wegen der daran beteiligten Persönlichkeiten die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Es wurde von ihnen viel gesprochen, und man traf dazu mancherlei Vorbereitungen. Eingesessene des Gouvernements, die in Moskau, in Petersburg und im Auslande wohnten und sich sonst nie an den Wahlen beteiligt hatten, kamen diesmal herbeigereist.
Wronski hatte schon lange vorher Swijaschski das Versprechen gegeben, zu den Wahlen zu
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