Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
jährlich mindestens fünfzigtausend Rubel verbrauchte, hatte gestern über diesen Punkt ihm gegenüber eine bemerkenswerte Äußerung getan.
Während sie sich vor dem Mittagessen miteinander unterhielten, hatte Stepan Arkadjewitsch zu Bartnjanski gesagt:
»Du bist ja wohl mit Mordwinski näher bekannt; da könntest du mir einen großen Dienst erweisen, wenn du ihm ein Wörtchen zu meinen Gunsten sagen wolltest. Es ist da eine Stelle, die ich gern haben möchte, eine Stelle als Mitglied der Agentur ...«
»Laß gut sein; das kann ich doch nicht behalten ... Aber wie bist du denn auf den wunderlichen Einfall gekommen, dich an den Eisenbahngeschäften solcher Juden beteiligen zu wollen? ... Man mag sagen, was man will, es bleibt doch immer eine unsaubere Sache.«
Stepan Arkadjewitsch setzte ihm nicht auseinander, daß dies eine hochwichtige Tätigkeit sei; denn dafür hätte Bartnjanski doch kein Verständnis gehabt.
»Ich brauche Geld. Ich weiß nicht, wovon ich leben soll.«
»Aber du lebst ja doch!«
»Das wohl; aber ich habe Schulden.«
»Ach, wirklich? Viel?« fragte Bartnjanski teilnahmsvoll.
»Sehr viel, zwanzigtausend.«
Bartnjanski lachte laut auf.
»O du glücklicher!« sagte er. »Ich habe anderthalb Millionen Schulden und gar kein Vermögen, und wie du siehst, bekomme ich es doch noch fertig, zu leben!«
Und selbst wenn Stepan Arkadjewitsch den Worten Bartnjanskis nicht geglaubt hätte, so bewiesen ihm die Tatsachen, daß dergleichen wirklich möglich war. Schiwachow hatte dreihunderttausend Rubel Schulden und keine Kopeke in seinem Besitze, und doch lebte er, und noch dazu wie! Den Grafen Kriwzow betrachtete alle Welt schon seit langer Zeit als einen toten Mann, und doch hielt er sich zwei Mätressen. Petrowski hatte ein Vermögen von fünf Millionen durchgebracht, und trotzdem lebte er in demselben Stil weiter, bekleidete sogar ein hohes Amt im Finanzministerium und bezog ein Gehalt von zwanzigtausend Rubeln.
Aber außerdem pflegte Petersburg auch in körperlicher Hinsicht wohltätig auf Stepan Arkadjewitsch zu wirken. Es verjüngte ihn geradezu. In Moskau betrachtete er manchmal nachdenklich im Spiegel sein ergrauendes Haar, schlief nach dem Mittagessen, reckte und streckte träge die Glieder, ging langsamen Schrittes und schwer atmend die Treppe hinauf, langweilte sich in Gesellschaft junger Frauen und tanzte nicht auf Bällen. In Petersburg dagegen hatte er immer das Gefühl, als sei er zehn Jahre jünger geworden.
Er erlebte an seiner eigenen Person in Petersburg, was ihm noch gestern der sechzigjährige Fürst Peter Oblonski, der soeben aus dem Auslande zurückgekehrt war, über sich selbst erzählt hatte.
»Wir verstehen hier nicht zu leben«, hatte Peter Oblonski gesagt. »Wirst du es glauben? Ich habe den Sommer in Baden-Baden verlebt und bin mir da wirklich ganz wie ein Jüngling vorgekommen. Sowie ich ein junges Frauenzimmer sah, geriet ich in Aufregung ... Man speist mit Genuß, man trinkt sein Fläschchen Wein, man fühlt sich kräftig und unternehmungslustig. Nun kam ich wieder nach Rußland – ich mußte zu meiner Frau, und noch dazu aufs Land – na, du wirst es gar nicht glauben, nach zwei Wochen zog ich den Schlafrock an und hörte auf, mich zum Essen umzukleiden. Ein Gedanke an junge Weiber kam mir überhaupt nicht mehr in den Kopf. Ich war vollständig ein Greis geworden, und das einzige, was mir übrigblieb, war, für mein Seelenheil zu sorgen. Da reiste ich wieder weg nach Paris – gleich kam ich wieder in Ordnung.«
Stepan Arkadjewitsch empfand genau denselben Unterschied in seinem Befinden wie Peter Oblonski. In Moskau wurde er so matt und mutlos, daß, wenn er lange ununterbrochen dort gelebt hätte, er wirklich am Ende noch dazu gekommen wäre, sich mit der Rettung seiner Seele zu beschäftigen; in Petersburg dagegen fühlte er sich wieder als anständiger Mensch.
Zwischen der Fürstin Betsy Twerskaja und Stepan Arkadjewitsch bestand seit geraumer Zeit ein sehr merkwürdiges Verhältnis. Stepan Arkadjewitsch machte ihr immer in scherzhafter Weise den Hof und sagte ihr, gleichfalls in scherzhafter Weise, die unanständigsten Dinge, woran sie, wie er wußte, ganz besonderen Geschmack fand. Als Stepan Arkadjewitsch am Tage nach seinem Gespräche mit Karenin ihr einen Besuch machte, fühlte er sich in hervorragendem Maße jugendlich und verstieg sich infolgedessen in seinem scherzhaften
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