Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
›Nein‹, dachte er, ›es ist doch wohl besser, wenn ich sie heute nicht um ihre Fürsprache bitte. Wenn ich nur mit guter Art von hier wegkommen könnte!‹
»Sie werden sich langweilen«, sagte die Gräfin Lydia Iwanowna, zu Landau gewendet, »da Sie kein Englisch verstehen. Aber es ist ganz kurz.«
»Oh, ich werde es schon verstehen«, erwiderte Landau mit seinem üblichen Lächeln und schloß die Augen.
Alexei Alexandrowitsch und Lydia Iwanowna warfen einander einen bedeutsamen Blick zu, und die Vorlesung begann.
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1 (frz.) Die Freunde unserer Freunde sind auch unsere Freunde.
2 (frz.) Verstehen Sie englisch?
3 (engl.) Geborgen und glücklich oder Unter dem Flügel.
22
S tepan Arkadjewitsch fühlte sich ganz benommen von all den ihm neuen, sonderbaren Reden, die er hier zu hören bekam. Die bunte Mannigfaltigkeit des Petersburger Lebens wirkte im allgemeinen auf ihn anregend, im Gegensatze zu dem langweiligen Einerlei in Moskau; aber Geschmack und Verständnis hatte er an dieser Mannigfaltigkeit nur auf den Gebieten, die ihm nahe lagen und vertraut waren; in dieser fremden Umwelt dagegen war er ganz betäubt und verwirrt und außerstande, alles zu fassen. Während er die Gräfin Lydia Iwanowna lesen hörte und Landaus schöne, einfältige oder spitzbübische (das wußte er selbst nicht) Augen auf sich gerichtet fühlte, begann Stepan Arkadjewitsch eine Art von eigentümlicher Schwere im Kopfe zu empfinden.
Die allerverschiedensten Gedanken krochen wirr durcheinander in seinem Gehirn umher. ›Marja Sanina freut sich, daß ihr Kind gestorben ist ... Ich würde jetzt gern eine Zigarette rauchen ... Um erlöst zu werden, braucht man nur zu glauben, und die Mönche wissen nicht, wie man das machen muß; aber die Gräfin Lydia Iwanowna weiß es ... Und wovon habe ich nur eine solche Schwere im Kopf? Vom Kognak oder daher, weil hier alles so sonderbar ist? Aber ich glaube, bis jetzt habe ich nichts Unpassendes begangen. Trotzdem geht es nicht mehr an, daß ich ihr meine Bitte vortrage. Ich habe sagen hören, solche Leute zwingen einen zum Beten. Wenn sie mich nur nicht dazu zwingen. Das wäre doch gar zu dumm. Was ist das für ein Unsinn, den sie da vorliest; aber ihre Aussprache ist nicht schlecht. Landau, Bessubow; woher heißt er denn Bessubow?‹ Plötzlich fühlte Stepan Arkadjewitsch, daß sein Unterkiefer in unwiderstehlicher Weise den Anfang zu einer Gähnbewegung machte. Er strich seinen Backenbart zurecht, um das Gähnen zu verbergen, und schüttelte sich. Aber gleich darauf hatte er die Empfindung, als schlafe er schon und schicke sich an, loszuschnarchen. Er kam in dem Augenblick wieder zur Besinnung, als die Stimme der Gräfin Lydia Iwanowna sagte: »Er schläft.«
Stepan Arkadjewitsch fuhr erschrocken auf; er fühlte sich schuldig und ertappt. Aber sofort beruhigte er sich auch wieder, da er merkte, daß die Worte »er schläft« sich nicht auf ihn, sondern auf Landau bezogen hatten. Der Franzose war ebenso wie Stepan Arkadjewitsch eingeschlafen. Aber Stepan Arkadjewitschs Schlaf würde, wie er glaubte, die Leute hier beleidigt haben (übrigens glaubte er auch das eigentlich nicht, so sonderbar kam ihm hier alles vor), Landaus Schlaf dagegen machte ihnen außerordentliche Freude, namentlich der Gräfin Lydia Iwanowna.
»Mon ami«, sagte sie, indem sie vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, die Falten ihres seidenen Kleides ein wenig aufhob und in ihrer Erregung Karenin nicht Alexei Alexandrowitsch, sondern mon ami anredete, »donnez-lui la main. Vous voyez? 1 Pst!« bedeutete sie dem wieder eintretenden Diener. »Ich nehme keinen Besuch an.«
Der Franzose schlief oder stellte sich schlafend; den Kopf hatte er gegen die Rückenlehne des Sessels zurücksinken lassen; die schweißfeuchte Hand, die auf seinem Knie lag, machte schwache Bewegungen, als wenn sie nach etwas haschte. Alexei Alexandrowitsch stand auf (er wollte es recht vorsichtig tun, stieß aber doch dabei an den Tisch), ging hin und legte seine Hand in die des Franzosen. Stepan Arkadjewitsch erhob sich gleichfalls; in der Absicht, falls er wirklich noch schliefe, sich munter zu machen, öffnete er die Augen recht weit und blickte bald den einen, bald den anderen an. Aber er überzeugte sich, daß das alles vor seinen wachenden Augen vorging. Er fühlte, daß die Unordnung in seinem Kopfe immer ärger wurde.
»Que la personne qui est arrivée la dernière, celle qui
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