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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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Tante nach dem Troizakloster gefahren war. ›Damals fuhr man dorthin noch zu Wagen. War ich das wirklich, das Mädchen mit den roten Händen? Wie vieles von dem, was mir damals so schön und unerreichbar schien, hat sich als nichtig erwiesen, und das, was damals war, ist mir nun für ewig unerreichbar. Hätte ich wohl damals geglaubt, daß ich bis zu einem solchen Grade der Selbstdemütigung gelangen könnte? Wie stolz und zufrieden er sein wird, wenn er meinen Brief bekommt! Aber ich werde ihm beweisen ... Wie schlecht diese Farbe riecht. Warum die Leute nur immerzu bauen und anstreichen? Moden- und Putzgeschäft‹, las sie. Ein Mann grüßte sie. Es war Annuschkas Ehemann. ›Unsere Parasiten‹, sie erinnerte sich an diesen Ausdruck, den Wronski von solchen Anhängseln ihres Haushaltes gebraucht hatte. ›Unsere? Warum unsere? Es ist furchtbar, daß man die Vergangenheit nicht mit der Wurzel ausreißen kann. Sie zu vernichten ist nicht möglich; man kann nur die Erinnerung daran zudecken. Und ich werde sie zudecken.‹ Und nun erinnerte sie sich ihres früheren Zusammenlebens mit Alexei Alexandrowitsch und wie sie diese ganze Zeit aus ihrem Gedächtnisse weggewischt hatte. ›Dolly wird denken, daß ich nun schon den zweiten Mann verlasse und daß ich daher gewiß unrecht habe. Will ich denn recht haben? Ich kann es ja doch nicht!‹ sagte sie sich und war nahe daran zu weinen. Aber da fing sie plötzlich an zu überlegen, worüber wohl diese beiden jungen Mädchen da lächeln mochten. ›Gewiß über eine Liebesangelegenheit. Sie wissen nicht, wie trübe und erniedrigend das ist ... Da ist der Boulevard, eine Menge Kinder! Drei Knaben laufen da und spielen Pferdchen. Ach, Sergei! Und ich werde alles verlieren und meinen Sohn nicht wiederbekommen. Ja, alles ist verloren, wenn Wronski nicht zurückkommt. Möglicherweise ist er zum Zug zu spät gekommen und schon jetzt nach Hause zurückgekehrt. Du trägst wie der nach neuen Demütigungen Verlangen!‹ sagte sie zu sich selbst. ›Nein, ich will zu Dolly gehen und ihr offen sagen: »Ich bin unglücklich; ich habe es verdient; ich bin selbst schuld daran. Aber bei alledem: ich bin unglücklich; hilf mir!« Diese Pferde, dieser Wagen – wie zuwider ich mir selbst in diesem Wagen bin; alles gehört ihm; aber ich werde das alles bald nicht mehr sehen.‹
     
    Damit beschäftigt, sich die Worte zurechtzulegen, mit denen sie Dolly alles mitteilen wollte, wobei sie absichtlich in den Wunden ihres Herzens wühlte, stieg Anna die Treppe hinauf.
     
    »Ist Besuch da?« fragte sie im Vorzimmer.
     
    »Katerina Alexandrowna Ljewina«, antwortete der Diener.
     
    ›Kitty! Dieselbe Kitty, in die Wronski verliebt gewesen ist!‹ dachte Anna. ›Dieselbe, deren er oft noch in Liebe gedacht hat. Er bedauert, daß er sie nicht geheiratet hat. Aber an mich denkt er nur mit einem Gefühl des Hasses und bereut es, daß er sich mit mir verbunden hat.‹
     
    Die beiden Schwestern führten, als Anna eintraf, gerade ein eifriges Gespräch über Säuglingsernährung. Dolly empfing den Besuch, der in diesem Augenblick ihr Gespräch störend unterbrach, allein im anstoßenden Zimmer.
     
    »Ah, du bist noch nicht abgereist? Ich hatte selbst vor, zu dir zu kommen«, sagte sie. »Ich habe heute einen Brief von Stiwa erhalten.«
     
    »Wir haben auch ein Telegramm von ihm bekommen«, erwiderte Anna und sah sich dabei um, ob Kitty nicht zu sehen sei.
     
    »Er schreibt, er könne gar nicht begreifen, was Alexei Alexandrowitsch eigentlich wolle; aber er werde nicht abreisen, ehe er nicht eine klare Antwort erhalten habe.«
     
    »Ich glaubte, du hättest Besuch. Kann ich den Brief lesen?«
     
    »Ja, Kitty ist da«, antwortete Dolly verlegen. »Sie ist im Kinderzimmer geblieben. Sie ist sehr krank gewesen.«
     
    »Ich habe davon gehört. Kann ich den Brief lesen?«
     
    »Ich will ihn dir gleich holen. Aber Alexei Alexandrowitsch spricht ja keine Weigerung aus; im Gegenteil, Stiwa hat Hoffnung«, sagte Dolly, in der Tür stehenbleibend.
     
    »Ich hoffe nichts mehr und wünsche nichts mehr«, versetzte Anna.
     
    ›Was bedeutet denn das?‹ dachte Anna, als sie allein geblieben war. ›Hält Kitty es ihrer für unwürdig, mit mir zusammenzutreffen? Vielleicht hat sie darin recht. Aber ihr, die in Wronski verliebt gewesen ist, steht es nicht an, mir ihre Geringschätzung zu zeigen, mag sie auch damit recht haben. Ich weiß, daß mich in meiner Lage keine anständige Frau empfangen kann. Ich

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