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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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sich in diesem Augenblick mit seiner Mutter und mit der Prinzessin Sorokina ruhig unterhielt und sich über ihre Qualen freute. ›Ja, ich muß so schnell wie möglich wegfahren‹, sagte sie sich, wußte aber noch nicht, wohin. Es verlangte sie danach, recht schnell von den Empfindungen loszukommen, die sie in diesem furchtbaren Hause peinigten. Die Dienerschaft, die Wände, die Möbel in diesem Hause, alles rief in ihrer Seele ein Gefühl des Abscheus und des Ingrimms hervor und drohte, sie wie eine schwere Last zu ersticken.
     
    ›Ja, ich muß nach dem Bahnhof bei dem Gute seiner Mutter fahren, und wenn ich da weder ihn noch eine Antwort vorfinde, so fahre ich nach dem Gute selbst und ertappe ihn auf frischer Tat.‹ Anna sah in einer Zeitung den Fahrplan nach. ›Ab abends acht Uhr zwei Minuten. Ja, den erreiche ich noch.‹ Sie gab Befehl, andere Pferde anzuspannen, und packte, was sie für einige Tage an Sachen nötig hatte, in ihre Reisetasche. Sie sagte sich, daß sie hierher nicht wieder zurückkehren werde. Viele Pläne gingen ihr durch den Kopf; sie faßte den noch sehr unklaren, nebelhaften Entschluß, nach den auf dem Bahnhof oder auf dem Gute der Gräfin zu erwartenden Vorgängen womöglich auf der Nischegoroder Bahn bis zur nächsten Stadt zu fahren und dort zu bleiben.
     
    Das Abendessen stand auf dem Tisch; sie trat heran und roch an dem Brot und dem Käse; aber nachdem sie sich überzeugt hatte, daß der Geruch alles Eßbaren ihr zuwider sei, ließ sie den Wagen vorfahren und ging hinaus. Das Haus warf seinen Schatten schon über die ganze Straße; es war ein klarer und in der Sonne noch warmer Abend. Sowohl Annuschka, die mit ihr hinausging und die Sachen trug, wie auch Peter, der die Sachen in den Wagen legte, und auch der augenscheinlich unzufriedene Kutscher, alle waren sie ihr widerwärtig und versetzten sie durch ihre Worte und Bewegungen in Erregung.
     
    »Ich brauche dich nicht, Peter.«
     
    »Soll ich nicht die Fahrkarte besorgen?«
     
    »Nun, wie du willst; mir ganz gleich«, erwiderte sie ärgerlich.
     
    Peter sprang auf den Bock, stemmte die Hände in die Seiten und wies den Kutscher an, nach dem Bahnhof zu fahren.
     
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    1 (frz.) meine Neigungen, Gelüste.
     
    2 (frz.) Tjutkin, Friseur, las sie ... Ich lasse mich von Tjutkin frisieren.
     

30
     
    › J a, da bin ich wieder im Wagen! Jetzt verstehe ich wieder alles!‹ sagte Anna zu sich, sobald der Wagen sich in Bewegung gesetzt hatte und schaukelnd über die kleinen Steine des Straßenpflasters dahinrasselte. Und wieder begannen allerlei Eindrücke sich in ihrem Geiste abzulösen.
     
    ›Ja, ich dachte doch zuletzt noch an etwas Hübsches; was war das nur?‹ fragte sie sich und gab sich Mühe, sich zu erinnern. ›Tjutkin, coiffeur? Nein, das war es nicht. Ach ja, ich dachte an das, was Jaschwin sagte: »Der Kampf ums Dasein und der Haß, das ist das einzige, was die Menschen miteinander verbindet.« Ach, es ist ganz zwecklos, daß ihr da hinausfahrt‹, sagte sie in Gedanken zu einer Gesellschaft in einem Vierspänner, die offenbar nach irgendeinem Lokale vor dem Tore fuhr, um sich dort zu vergnügen. ›Auch der Hund, den ihr mitgenommen habt, wird euch nichts nützen. Euch selbst könnt ihr doch nicht entfliehen.‹ Als sie einen Blick nach der Seite warf, wohin sich Peter umdrehte, sah sie einen sinnlos betrunkenen Fabrikarbeiter, der seinen Kopf kraftlos hin und her wackeln ließ und von einem Schutzmann weggeführt wurde. ›Da, von dem könnte man noch am ehesten sagen, daß er sich selbst entflohen ist‹, dachte sie. ›Aber ich und Graf Wronski, wir haben dieses Vergnügen ebensowenig kennengelernt wie die meisten anderen Menschen; und doch hatten wir uns soviel davon versprochen.‹ Und Anna richtete jetzt zum ersten Male die scharfe Beleuchtung, in der sie nun alles sah, auf ihr Verhältnis zu ihm, über das sie früher vermieden hatte nachzudenken. ›Was hat er bei mir gesucht? Nicht sosehr Liebe wie Befriedigung seiner Eitelkeit.‹ Sie rief sich sein Benehmen in der ersten Zeit ihrer Beziehungen ins Gedächtnis zurück: seine Worte, seinen Gesichtsausdruck, der sie an einen gehorsamen Hühnerhund erinnert hatte. Und in allem fand sie eine Bestätigung ihrer jetzigen Auffassung. ›Ja, seine Eitelkeit war stolz auf den errungenen Sieg. Natürlich, es war auch Liebe dabei; aber das Hauptstück seiner Empfindung war Stolz auf den Erfolg. Er prahlte mit ihr. Das ist jetzt vorüber. Es ist nichts da, worauf er

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