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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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die Lehrer und von den Bauern vielleicht einer unter tausend, die mögen wissen, worum es sich handelt. Die übrigen achtzig Millionen dagegen, so wie mein Michailütsch da, bekunden ihren Willen nicht, ja sie haben überhaupt nicht den geringsten Begriff davon, worüber sie ihren Willen bekunden sollen. Welches Recht haben wir also, zu sagen, daß das der Wille des Volkes sei?«
     

16
     
    M it der ihm eigenen Gewandtheit im Reden leitete Sergei Iwanowitsch, ohne etwas auf die Behauptung des Gegners zu erwidern, sofort das Gespräch auf ein anderes Gebiet hinüber.
     
    »Ja, wenn du den Volksgeist auf arithmetischem Wege erkennen willst, so wird es dir selbstverständlich sehr schwer sein, zum Ziele zu gelangen. Eine allgemeine Abstimmung ist bei uns nicht eingeführt, und es wäre auch zwecklos, sie einzuführen, da sie den Willen des Volkes nicht zum Ausdruck bringt. Aber um diesen zu erkennen, dafür gibt es andere Wege. Das spürt man in der Luft, das fühlt man mit dem Herzen. Ich will jetzt gar nicht einmal von jenen Strömungen reden, die sich in den tieferen Schichten unseres sonst einem ruhigen Meere gleichenden Volkes in Bewegung gesetzt haben und die niemandem, der frei von Voreingenommenheit ist, entgehen können; aber blicke auf das hin, was man im engeren Sinne die Gesellschaft nennt. Alle die so verschiedenartigen Parteien, die es in den Schichten der Gebildeten gibt und die sich früher so arg befehdeten, sind jetzt in eins zusammengeflossen. Aller Hader hat aufgehört; alle Zeitungen der gebildeten Gesellschaft sagen ein und dasselbe; alle spüren sie die unmittelbare Gewalt, die sie erfaßt hat und sie alle in einer Richtung dahinträgt.«
     
    »Ja, die Zeitungen sagen alle ein und dasselbe«, sagte der Fürst. »Das ist schon richtig. Alle stimmen sie dasselbe Lied an, wie die Frösche vor dem Gewitter. Bei dem Lärm, den sie vollführen, ist gar nichts anderes mehr zu hören.«
     
    »Nun, über die Ähnlichkeit mit den Fröschen will ich nicht streiten; ich gebe keine Zeitungen heraus und fühle mich nicht berufen, sie zu verteidigen; aber ich rede von der Einmütigkeit der gesamten gebildeten Bevölkerung«, sagte Sergei Iwanowitsch, zu seinem Bruder gewendet. Ljewin wollte etwas entgegnen; aber der alte Fürst kam ihm zuvor.
     
    »Na, über diese Einmütigkeit ließe sich so manches sagen«, bemerkte er. »Sehen Sie, da habe ich einen Schwiegersohn, Stepan Arkadjewitsch; Sie kennen ihn ja. Der bekommt jetzt eine Stelle als Komiteemitglied der Kommission ... na, und so weiter, ich habe es nicht im Kopfe. Zu tun hat er dabei gar nichts (ach was, Dolly, es ist ja kein Geheimnis); aber das Gehalt beträgt achttausend Rubel. Nun machen Sie einmal den Versuch und fragen Sie ihn, ob sein Amt irgendwelchen Nutzen bringt; und er wird Ihnen beweisen, daß es im höchsten Grade notwendig ist. Und er ist ein wahrheitsliebender Mann; aber achttausend Rubel muß eben jeder Mensch für etwas Nützliches halten.«
     
    »Ja, er hat mich gebeten, Darja Alexandrowna mitzuteilen, daß er diese Stelle erhalten hat«, sagte Sergei Iwanowitsch mißvergnügt; denn er war der Ansicht, daß das, was der Fürst gesagt hatte, gar nicht herpaßte.
     
    »Dieselbe Sache ist es auch mit der Einmütigkeit der Zeitungen. Man hat mir das so auseinandergesetzt: wenn es Krieg gibt, steigen ihre Einnahmen auf das Doppelte. Wie sollten sie da nicht der Ansicht sein, daß die Sendung des russischen Volkes und der Slawen ... und in diesem Stile weiter.«
     
    »Auch mir sind nicht wenige Zeitungen unangenehm; aber diese Unterstellung ist doch ungerecht«, erwiderte Sergei Iwanowitsch.
     
    »Ich würde nur eine einzige Forderung stellen«, fuhr der Fürst fort. »Alphonse Karr hat sich darüber vor dem Kriege mit Preußen in einer seiner Veröffentlichungen ganz vortrefflich geäußert: ›Ihr seid der Ansicht, daß der Krieg notwendig ist? Schön. Diejenigen, die den Krieg predigen, sollen ein besonderes Bataillon des Vordertreffens bilden und beim Sturm, bei der Attacke allen voran sein.‹«
     
    »Die Zeitungsschreiber werden dabei einen schönen Anblick bieten!« meinte Katawasow laut lachend, da er sich die Schriftleiter seiner Bekanntschaft als Krieger in diesem auserlesenen Bataillon vorstellte.
     
    »Ach ja, sie werden davonlaufen«, sagte Dolly. »Sie werden nur hinderlich sein.«
     
    »Wenn sie zum Davonlaufen Neigung zeigen, dann soll man mit Kartätschen geladene Geschütze oder Kosaken mit Knuten hinter ihnen

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