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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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zusammen.
     
    »Mein Gott, mein Gott, nur nicht auf sie!« murmelte er.
     
    Und obwohl er sich sofort dessen bewußt wurde, wie sinnlos seine Bitte war, daß sie nicht von der Eiche erschlagen werden möchten, die jetzt doch schon gefallen war, so wiederholte er sie doch, in dem Gefühl, daß er etwas, was besser wäre als dieses sinnlose Gebet, nicht tun könnte.
     
    Als er auf den Platz, wo sie sich gewöhnlich aufhielten, gelaufen kam, fand er sie nicht dort.
     
    Sie waren am anderen Ende des Hains unter einer alten Linde und riefen ihn. Zwei Gestalten in dunklen Kleidern (sie hatten vorher helle getragen) standen dort und beugten sich, über etwas. Es waren Kitty und die Kinderfrau. Als Ljewin laufend zu ihnen gelangt war, hatte der Regen bereits aufgehört, und es begann wieder hell zu werden. Bei der Kinderfrau war die Unterkleidung trocken geblieben; aber Kittys Kleidung war durch und durch naß geworden und klebte ihr überall am Leibe. Obgleich es nicht mehr regnete, standen sie immer noch in derselben Stellung da wie beim Ausbruch des Gewitters: beide beugten sie sich über das Wägelchen mit dem grünen Schirmdach.
     
    »Ihr lebt? Ihr seid unversehrt? Gott sei Dank!« rief er und schlurfte mit seinen arg zugerichteten, voll Wasser gelaufenen Halbstiefeln durch die tiefen Lachen zu ihnen hin.
     
    Kitty wendete ihm ihr rotwangiges, nasses Gesicht zu und lächelte ihn unter dem Hute hervor, der seine Form verändert hatte, schüchtern an.
     
    »Aber was machst du für Geschichten! Ich begreife nicht, wie du so unvorsichtig sein kannst!« schalt er seine Frau ärgerlich.
     
    »Ich kann wirklich nichts dafür. Wir wollten gerade nach Hause gehen, als er etwas verrichtete. Wir mußten ihm die Wäsche wechseln. Wir wollten gerade ...«, begann Kitty sich zu rechtfertigen.
     
    Dmitri war unversehrt; er war vom Regen nicht getroffen worden und schlief ruhig weiter.
     
    »Nun, Gott sei Dank! Ich weiß gar nicht, was ich rede.«
     
    Die nassen Windeln wurden zusammengesucht; die Kinderfrau nahm den Kleinen aus dem Wagen und trug ihn. Ljewin ging neben seiner Frau und drückte ihr, damit sie ihm seine ärgerliche Aufwallung verzeihen möchte, von der Kinderfrau unbemerkt, die Hand.
     

18
     
    L jewin hatte zwar mit der Umwandlung, die mit ihm hätte vorgehen sollen, eine Enttäuschung erlebt; aber diesen ganzen Tag über, auch während der sehr verschiedenartigen Gespräche, an denen er sich gleichsam nur mit der Außenseite seines Verstandes beteiligte, empfand er trotzdem dauernd mit hoher Freude, wie voll sein Herz war.
     
    Nach dem Regen war es zu naß, als daß man hätte spazierengehen können; zudem waren immer noch Gewitterwolken am Horizont sichtbar und zogen bald hier, bald dort, bedrohlich durch ihre schwarze Färbung und ihr Donnern, am Rand des Himmels hin. Die ganze Gesellschaft verbrachte den übrigen Teil des Tages im Hause.
     
    Streitfragen wurden nicht mehr aufgeworfen; vielmehr befanden sich alle nach dem Mittagessen in bester Laune.
     
    Katawasow brachte zunächst die Damen durch jene besondere Art von Späßchen zum Lachen, die immer bei der ersten Bekanntschaft mit ihm soviel Beifall fanden; dann aber erzählte er auf Sergei Iwanowitschs Aufforderung von seinen sehr interessanten Beobachtungen über die Unterschiede im Wesen und selbst im Aussehen der Männchen und Weibchen der Stubenfliege sowie über ihre Lebensweise. Auch Sergei Iwanowitsch war sehr vergnügt und setzte beim Tee, von seinem Bruder dazu angeregt, seine Ansichten über die zukünftige Gestaltung der orientalischen Frage auseinander, und zwar in einer so einfachen, hübschen Weise, daß alle ihm mit Vergnügen zuhörten.
     
    Nur Kitty konnte seine Darlegungen nicht bis zu Ende mit anhören, da sie abgerufen wurde, um den kleinen Dmitri zu baden.
     
    Einige Minuten nachdem Kitty hinausgegangen war, wurde auch Ljewin gebeten, zu ihr ins Kinderzimmer zu kommen.
     
    Bedauernd, daß er im Anhören der fesselnden Darstellung unterbrochen wurde, und zugleich voll Unruhe, weshalb er wohl gerufen werde, da dies nur aus wichtigen Ursachen zu geschehen pflegte, ließ Ljewin seinen Tee stehen und ging nach dem Kinderzimmer.
     
    Obgleich Sergei Iwanowitschs Plan, den er nicht bis zu Ende hatte mit anhören können, als etwas ihm vollständig Neues sein größtes Interesse erregte (nämlich der Plan, wie das befreite, vierzig Millionen umfassende Slawenland mit Rußland zusammen einen neuen Zeitabschnitt der Weltgeschichte

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