Anna Karenina
unten im Westen mit ihrem zarten Glanze zwischen den Birken hindurch, und hoch oben
im Osten glühte schon mit seinem rötlichen Lichte der düstere Arktur. Über seinem Kopfe erfaßte Ljewin mit seinen
Blicken bald die Sterne des Großen Bären, bald verlor er sie wieder. Die Schnepfen hatten ihren Flug schon
eingestellt; aber Ljewin beschloß noch zu warten, bis die Venus, die er unterhalb eines Birkenastes erblickte, über
diesen hinaufgestiegen und die sämtlichen Sterne des Großen Bären klar geworden wären. Nun war die Venus schon über
den Ast hinaufgestiegen, und der Wagen des Großen Bären mitsamt der Deichsel war am dunkelblauen Himmel bereits
vollständig sichtbar, aber Ljewin wartete noch immer.
»Ist es nicht Zeit zur Heimkehr?« fragte Stepan Arkadjewitsch.
Im Walde war es schon ganz still; es rührte sich kein einziger Vogel mehr.
»Wollen doch noch ein bißchen bleiben«, antwortete Ljewin.
»Wie du willst.«
Sie standen jetzt ungefähr fünfzehn Schritte voneinander entfernt.
»Stiwa«, sagte Ljewin auf einmal ganz unerwartet, »warum sagst du mir denn nicht, ob deine Schwägerin sich
verheiratet hat oder wann sie sich verheiraten wird?«
Ljewin fühlte sich so gefaßt und ruhig, daß, wie er meinte, keine Antwort ihn aufregen konnte. Aber das, was ihm
Stepan Arkadjewitsch wirklich antwortete, hatte er schlechterdings nicht erwartet.
»Es ist ihr gar nicht eingefallen, sich zu verheiraten, und sie denkt nicht daran, es zu tun; aber sie ist sehr
krank, und die Ärzte haben sie ins Ausland geschickt. Man fürchtet sogar für ihr Leben.«
»Was sagst du da!« rief Ljewin. »Sehr krank? Was fehlt ihr? Wie hat sie ...«
Während sie so sprachen, spitzte Laska die Ohren, blickte zum Himmel hinauf und warf dann den beiden Jägern
einen vorwurfsvollen Blick zu.
›Na, na, jetzt ist auch die richtige Zeit zum Plaudern‹, dachte sie. ›Und da fliegt eine. – Da ist sie, –
wahrhaftig. Die verpassen sie!‹ dachte Laska.
Aber gerade in diesem Augenblicke hörten die beiden ein scharfes Pfeifen, wie wenn ein Peitschenschlag ihr Ohr
träfe; beide griffen rasch nach den Gewehren, und gleichzeitig flammten zwei Blitze auf, gleichzeitig krachten zwei
Schüsse. Die hoch oben fliegende Schnepfe legte plötzlich die Flügel zusammen und fiel in das Gebüsch, dessen dünne
Zweige sich unter ihr bogen.
»Das war fein! Eine gemeinsame Beute!« rief Ljewin und lief mit Laska in das Gebüsch, um die Schnepfe zu suchen.
›Ach ja, was hat mir nur eben eine so unangenehme Empfindung verursacht?‹ fiel ihm ein. ›Richtig, Kitty ist krank!
Was ist da zu machen? Es tut mir sehr leid‹, dachte er.
»Ah, hast sie gefunden! Ei, bist ein kluger Hund!« sagte er, nahm den warmen Vogel aus Laskas Maul und steckte
ihn in die schon fast gefüllte Jagdtasche. »Ich habe sie gefunden, Stiwa!« rief er.
16
Während sie heimfuhren, erkundigte sich Ljewin nach allen Einzelheiten von Kittys Krankheit und nach den Plänen
der Familie Schtscherbazki; und wiewohl er sich geschämt hätte, es einzugestehen, so war ihm doch das, was er
erfuhr, angenehm. Angenehm deswegen, weil er nun noch hoffen konnte, und noch angenehmer deswegen, weil nun sie
litt, sie, die ihm so viel Leid zugefügt hatte. Aber als Stepan Arkadjewitsch von den Ursachen der Krankheit Kittys
zu sprechen anfing und dabei den Namen Wronski erwähnte, da unterbrach ihn Ljewin:
»Ich habe keinerlei Recht, Einzelheiten des Familienlebens zu erfahren und, offen gestanden, auch kein Interesse
dafür.«
Stepan Arkadjewitsch lächelte ganz leise vor sich hin, als er die plötzliche, ihm so wohlbekannte Veränderung in
Ljewins Gesicht wahrnahm, das sich nun ebenso verdüstert hatte, wie es noch einen Augenblick vorher heiter gewesen
war.
»Hast du über den Wald mit Rjabinin schon fest abgeschlossen?« fragte Ljewin.
»Ja, ich habe fest abgeschlossen. Es ist ein recht guter Preis, achtunddreißigtausend. Achttausend sofort und
das übrige auf sechs Jahre verteilt. Ich habe mich lange mit der Geschichte abgeplagt. Kein Mensch wollte mehr
geben.«
»Das heißt, du hast den Wald so gut wie umsonst hingegeben«, bemerkte Ljewin mit finsterer Miene.
»Wieso denn so gut wie umsonst?« fragte Stepan Arkadjewitsch mit einem gutmütigen Lächeln, da er wußte, daß
Ljewin jetzt an allem etwas auszusetzen haben werde.
»Weil der Wald mindestens fünfhundert Rubel die Deßjatine wert ist«, versetzte Ljewin.
»Na ja, da sieht man diese
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