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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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bald
    seine Hand, bald seine Stiefel und das Gewehr beleckte.
    Das Wägelchen stand schon vor der Haustür, als sie hinaustraten.
    »Ich habe anspannen lassen, wiewohl es nicht weit ist. Oder wollen wir lieber zu Fuß hingehen?«
    »Nein, laß uns lieber fahren«, erwiderte Stepan Arkadjewitsch und trat zum Wagen. Er setzte sich hinein,
    wickelte sich eine getigerte Decke um die Beine und zündete sich eine Zigarre an. »Wie kannst du nur Nichtraucher
    sein! Eine Zigarre ist nicht etwa nur so ein Vergnügen gewöhnlicher Art, sondern sie ist die Krone aller
    Vergnügungen, ein Sinnbild des Wohlbefindens. Ja, siehst du, das ist hier das wahre Leben! Wie schön es hier ist!
    Ja, so möchte ich auch leben!«
    »Wer hindert dich denn daran?« versetzte Ljewin lächelnd.
    »Nein, du bist ein glücklicher Mensch! Alles, was du gern magst, das hast du auch. Du magst Pferde gern, du hast
    welche; Hunde, du hast sie; Jagd, hast du; Landwirtschaft, hast du.«
    »Vielleicht kommt das daher, daß ich mich an dem freue, was ich habe, und mich nicht um das gräme, was ich nicht
    habe«, erwiderte Ljewin und dachte dabei an Kitty.
    Stepan Arkadjewitsch durchschaute das, warf ihm einen Blick zu, sagte aber nichts dazu.
    Ljewin war ihm dafür dankbar, daß er mit dem ihm stets eigenen Taktgefühl seine, Ljewins, Scheu vor einem
    Gespräche über Schtscherbazkis gemerkt hatte und nicht von ihnen sprach. Aber jetzt hätte Ljewin gern etwas über
    den Punkt erfahren, der ihn so sehr quälte, aber er wagte nicht, davon anzufangen.
    »Nun, und wie stehen denn deine Sachen?« fragte Ljewin, der sich sagte, daß es doch recht häßlich von ihm sei,
    immer nur an sich selbst zu denken.
    Stepan Arkadjewitschs Augen glitzerten lustig.
    »Du willst es ja nicht gelten lassen, daß man Appetit auf einen Kringel bekommen kann, wenn man seine
    regelmäßige Ration Mehl und Grütze hat; nach deiner Auffassung ist das ein Verbrechen, nach der meinigen aber ist
    ein Leben ohne Liebe überhaupt kein Leben«, erwiderte er, da er Ljewins Frage in seiner Weise verstanden hatte.
    »Was ist da zu tun? Ich bin nun einmal so geschaffen. Und wirklich, der Schaden, der jemandem dadurch zugefügt
    wird, ist doch nur sehr gering; mir aber macht es so großes Vergnügen.«
    »Na, hast du denn wieder etwas Neues?« fragte Ljewin.
    »Freilich, Brüderchen! Sieh mal, du kennst doch den Typus der Ossianschen Frauengestalten, Frauen, wie man sie
    im Traum sieht. Nun, solche Frauen kommen auch in Wirklichkeit vor, und diese Frauen sind schrecklich. Das Weib,
    weißt du, ist ein so rätselhaftes Wesen, – soviel man es auch studieren mag, es erscheint einem immer wieder völlig
    neu.«
    »Dann ist schon das beste, es nicht zu studieren.«
    »Nein. Irgendein Mathematiker hat gesagt, der Genuß bestehe nicht in der Entdeckung der Wahrheit, sondern im
    Suchen nach ihr.«
    Ljewin hörte schweigend zu; aber trotz aller Anstrengung war er nicht imstande, sich in die Seele seines
    Freundes hineinzuversetzen und dessen Gefühle und den Reiz des Studiums solcher Frauen zu verstehen.

15
    Der Ort des Schnepfenstrichs befand sich nicht weit vom Hause, auf einer Anhöhe an einem Flüßchen, in einem
    lichten Espengehölz. Als sie nahe herangekommen waren, stiegen sie beide aus, und Ljewin führte Oblonski an eine
    Ecke einer moosigen, sumpfigen Lichtung, die bereits frei von Schnee war. Er selbst begab sich an das andere Ende,
    wo zwei Birken ganz dicht nebeneinander wuchsen, lehnte sein Gewehr in die Gabelung eines niedrigen, trockenen
    Astes, zog sich den Rock aus, band sich den Gurt fester und erprobte die freie Beweglichkeit seiner Arme.
    Die alte graue Laska, die ihm auf Schritt und Tritt gefolgt war, setzte sich sachte ihm gegenüber hin und
    spitzte die Ohren. Die Sonne ging hinter dem dichteren, höheren Wald unter, und im Scheine der Abendröte hoben sich
    die im Espengehölz verstreuten Birken mit ihren hängenden Zweigen voll schwellender, zum Aufbrechen bereiter
    Knospen scharf von ihrer Umgebung ab.
    Aus dem dichteren Walde, wo der Schnee noch lag, rann das Wasser kaum hörbar in kleinen, sich schlängelnden
    Bächen heraus. Kleine Vögel zwitscherten und flogen ab und zu von einem Baume zum anderen.
    In der vollkommenen Stille hörte man von Zeit zu Zeit das Rascheln vorjähriger Blätter, die durch das Auftauen
    der Erde und das Wachsen des Grases in leise Bewegung versetzt wurden.
    ›Wunderbar! Man hört und sieht, wie das Gras wächst!‹ sagte Ljewin bei sich

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