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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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auf, ohne sich damit im geringsten zu beeilen; dann ärgert man sich ein bißchen
    über irgend etwas; man brummt ein bißchen; dann sammelt man so allmählich seine Gedanken; man überlegt sich alles
    in Ruhe; man überhastet sich nicht.«
    »Aber Sie vergessen: Zeit ist Geld!« wandte der Oberst ein.
    »Ja, ja! Aber es kommt darauf an, was es für Zeit ist. Manche Zeit ist von der Art, daß man einen ganzen Monat
    davon gut und gern für einen halben Rubel hingeben möchte; und dann wieder manchmal ist einem eine halbe Stunde für
    alle Schätze der Welt nicht feil. Meinst du nicht auch, Katjenka? Was hast du denn? Du siehst ja so trübselig
    aus?«
    »Mir fehlt nichts.«
    »Wo wollen Sie denn schon hin? Bleiben Sie doch noch ein Weilchen!« wandte er sich an Warjenka.
    »Ich muß nach Hause«, antwortete Warjenka und stand auf; sie mußte immer noch von neuem lachen. Indessen zwang
    sie sich zu einer ruhigen Haltung, empfahl sich und ging in das Haus, um ihren Hut zu holen. Kitty begleitete sie.
    Sogar Warjenka erschien ihr jetzt als eine andere. Sie war zwar in ihren Augen nicht schlechter geworden; aber sie
    war jetzt doch eine andere als die, die sie früher in Kittys Vorstellung gewesen war.
    »Ach, ich habe schon seit langer Zeit nicht mehr so gelacht!« sagte Warjenka, indem sie ihren Sonnenschirm und
    ihr Täschchen zusammensuchte. »Wie nett Ihr Papa ist!«
    Kitty schwieg.
    »Wann sehen wir uns wieder?« fragte Warjenka.
    »Maman wollte nachher zu Petrows gehen. Werden Sie nicht auch da sein?« fragte Kitty, um Warjenka
    auszuhorchen.
    »Ja, ich werde da sein«, antwortete Warjenka. »Sie machen sich zur Abreise fertig, und da habe ich versprochen,
    ihnen beim Einpacken behilflich zu sein.«
    »Nun, dann will ich auch hinkommen.«
    »Ach, nicht doch, wozu denn das?«
    »Warum nicht? Warum nicht? Warum nicht?« rief Kitty mit weit geöffneten Augen und hielt Warjenka, um sie nicht
    wegzulassen, an ihrem Sonnenschirm fest. »Nein, warten Sie, warum nicht?«
    »Ach, ich meinte nur so. Ihr Papa ist doch angekommen, und dann ist es Petrows auch nur peinlich, wenn Sie da
    helfen wollen.«
    »Nein, sagen Sir mir, warum mögen Sie es nicht, daß ich Petrows öfter besuche? Nicht wahr, Sie mögen es nicht?
    Warum also nicht?«
    »Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte Warjenka ruhig.
    »Nein, bitte, antworten Sie mir!«
    »Soll ich alles sagen?« fragte Warjenka.
    »Jawohl! Alles, alles!« antwortete Kitty hastig.
    »Etwas Besonderes ist ja eigentlich gar nicht zu sagen. Es ist nur dies: Michail Alexejewitsch (so hieß der
    Maler) hatte ursprünglich die Absicht, schon früher abzureisen, und jetzt möchte er am liebsten gar nicht fort«,
    antwortete Warjenka lächelnd.
    »Weiter, weiter!« drängte Kitty und blickte Warjenka finster an.
    »Ja, und da hat nun Anna Pawlowna, ich weiß nicht, wie das gekommen ist, aber sie hat gesagt, er wolle nur
    deswegen nicht fort, weil Sie hier wären. Das hätte sie ja natürlich nicht sagen sollen; aber daher ist der Streit
    gekommen. Ihretwegen. Sie wissen ja, wie reizbar solche Kranke sind.«
    Kitty machte ein immer finstreres Gesicht und schwieg; Warjenka sprach allein weiter, bemüht, sie zu besänftigen
    und zu beruhigen; denn sie sah, daß sich ein Ausbruch, sie wußte nicht wovon, ob von Tränen oder von Worten,
    vorbereitete.
    »Es ist also wohl besser, wenn Sie nicht hingehen ... Und Sie verstehen mich gewiß und nehmen es mir nicht übel
    ...«
    »Es geschieht mir recht, es geschieht mir recht!« stieß Kitty hastig hervor, riß ihrer Freundin den Sonnenschirm
    aus den Händen und starrte an ihr vorbei.
    Warjenka wollte lächeln, als sie den kindischen Zorn ihrer Freundin sah, fürchtete aber, sie dadurch zu
    beleidigen.
    »Inwiefern geschieht Ihnen recht? Ich verstehe Sie nicht«, erwiderte sie.
    »Jawohl, ich habe das verdient, weil das alles von mir nur Heuchelei war, weil das alles nur kläglich
    ausgesonnen war und nicht von Herzen kam. Was ging mich dieser fremde Mensch an? Und das Ergebnis ist nun, daß ich
    schuld an einem Streite geworden bin und getan habe, worum mich kein Mensch gebeten hatte. Weil eben alles nur
    Heuchelei war, jawohl, Heuchelei, Heuchelei ...«
    »Aber wozu sollten Sie denn geheuchelt haben?« fragte Warjenka leise.
    »Ach, wie dumm, wie schändlich von mir! Und ich hatte es ja gar nicht nötig ... Alles nur Heuchelei!« rief sie
    und machte dabei den Sonnenschirm immer auf und zu.
    »Aber wozu denn? Wozu denn also?«
    »Um besser zu

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