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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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einigermaßen gekannt, noch ehe sie unter die Pietisten ging.«
    »Was sind das, Pietisten, Papa?« fragte Kitty. Sie war schon darüber ganz erschrocken, daß das, was sie an Frau
    Stahl so hoch schätzte, überhaupt eine bestimmte Benennung haben sollte.
    »Ich weiß es selbst nicht genau. Ich weiß nur, daß sie Gott für alles dankt, für jedes Unglück ... selbst dafür,
    daß ihr Mann gestorben ist, dankt sie Gott. Na, und das kommt etwas komisch heraus, da sie sehr schlecht
    miteinander gelebt haben ... Wer ist das da? Eine Jammergestalt!« fragte er, als er auf einer Bank einen Kranken
    bemerkte, einen Mann von hohem Wuchs, in einem braunen Überrock und weißen Beinkleidern, die an seinen
    fleischlosen, knochigen Beinen seltsame Falten schlugen. Dieser Herr lüftete den Strohhut, den er auf dem
    spärlichen, lockigen Haare trug; es wurde eine hohe Stirn sichtbar, über die sich von dem Druck des Hutes ein roter
    Streifen hinzog.
    »Das ist der Maler Petrow«, antwortete Kitty errötend. »Und da ist seine Frau«, fügte sie hinzu und zeigte auf
    Anna Pawlowna, die, wie mit Absicht, gerade in dem Augenblicke, als sie näher kamen, ihrem kleinen Kinde nacheilte,
    das auf einem Steige davonlief.
    »Wie jammervoll er aussieht, und was für ein liebes, gutes Gesicht er hat!« sagte der Fürst. »Warum bist du
    nicht zu ihm hingegangen? Er schien dir etwas sagen zu wollen.«
    »Nun, dann wollen wir hingehen!« versetzte Kitty und wandte sich entschlossen um. »Wie steht es heute mit Ihrem
    Befinden?« fragte sie den Kranken. Petrow stand, sich auf seinen Stock stützend, auf und blickte den Fürsten
    schüchtern an.
    »Das ist meine Tochter«, sagte der Fürst. »Gestatten Sie mir, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
    Der Maler verbeugte sich und lächelte, wobei seine weißen, sonderbar glänzenden Zähne sichtbar wurden.
    »Wir haben Sie gestern erwartet, Prinzessin«, sagte er zu Kitty.
    Er wankte, als er das sagte, und suchte dann durch eine Wiederholung dieser Bewegung den Anschein zu erwecken,
    als hätte er sie auch zuerst absichtlich gemacht.
    »Ich wollte kommen; aber Warjenka sagte mir, Anna Pawlowna lasse bestellen, daß Sie die Spazierfahrt aufgegeben
    hätten.«
    »Wie denn aufgegeben!« versetzte Petrow, der ganz rot im Gesicht wurde und sofort zu husten begann. Er suchte
    mit den Augen seine Frau. »Anna, Anna!« rief er laut, und an seinem dünnen, weißen Halse traten dicke Adern wie
    Stricke hervor.
    Anna Pawlowna kam herbei.
    »Wie konntest du der Prinzessin sagen lassen, wir würden nicht ausfahren?« flüsterte er ihr, stimmlos geworden,
    mit gereiztem Wesen zu.
    »Guten Morgen, Prinzessin!« sagte Anna Pawlowna mit einem gemachten Lächeln, das von ihrem früheren Benehmen so
    grundverschieden war. »Es ist mir sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen«, wandte sie sich zu dem Fürsten.
    »Sie wurden schon lange hier erwartet, Fürst.«
    »Wie konntest du der Prinzessin sagen lassen, wir würden nicht ausfahren?« flüsterte der Maler noch einmal
    heiser und in noch zornigerem Tone; seine Erregung war offenbar dadurch noch gesteigert worden, daß ihm die Stimme
    versagte und er dem, was er sagen wollte, nicht den gewünschten Ausdruck zu geben vermochte.
    »Mein Gott! Ich dachte, wir würden nicht fahren«, antwortete die Frau ärgerlich.
    »Wie konntest du das denken, da ich doch ...« Er kam ins Husten hinein und machte eine still ergebene Bewegung
    mit der Hand, daß er nicht weiterreden könne.
    Der Fürst lüftete den Hut und ging mit seiner Tochter weiter.
    »Oh, oh! Diese Unglücklichen!« sagte er schwer seufzend.
    »Ja, Papa«, erwiderte Kitty. »Und dabei mußt du wissen, daß sie drei Kinder haben und keinen Dienstboten und so
    gut wie gar keine Mittel. Er bekommt eine kleine Summe von der Akademie«, erzählte sie lebhaft und suchte dadurch
    ihre Erregung über Anna Pawlownas so sonderbar ihr gegenüber verändertes Benehmen zu übertäuben. – »Und da ist ja
    auch Madame Stahl«, sagte Kitty und zeigte auf einen Rollstuhl, auf dem, von Kissen umgeben, in ein grau und blaues
    Tuch gehüllt, unter einem Sonnenschirme etwas lag. Es war Frau Stahl. Hinter ihr stand ein kräftiger deutscher
    Dienstmann mit mürrischer Miene, der den Rollstuhl schob. Neben ihr stand ein blonder schwedischer Graf, den Kitty
    nur dem Namen nach kannte. Mehrere Kranke waren in einiger Entfernung von dem Rollstuhl stehengeblieben und
    blickten nach dieser Dame wie nach einer außerordentlichen Erscheinung

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