Anna Karenina
Rostgeschmack von der Blechdose. Und gleich darauf folgte das glückselige, langsame
Dahinschlendern mit der Sense im Arm, wobei man sich den herabrinnenden Schweiß abtrocknen, aus vollster Brust Atem
holen und die ganze, sich lang hinziehende Reihe der Mäher, und alles, was ringsum im Walde und auf dem Felde
geschah, betrachten konnte.
Je länger Ljewin mähte, um so häufiger wurden für ihn diese Zeiten der Selbstvergessenheit, wo nicht mehr die
Hände die Sense schwangen, sondern die Sense selbst hinter sich den ganzen, von Bewußtsein und Leben erfüllten
Körper bewegte und die Arbeit, ohne daß er an sie dachte, wie durch Zauberei ordnungsmäßig und regelrecht ganz von
selbst vor sich ging. Das waren die glückseligsten Augenblicke.
Schwer wurde es nur dann, wenn es erforderlich war, diese unbewußt gewordene Bewegung zu unterbrechen und zu
denken, wenn zum Beispiel ein bewachsener Erdhöcker oder eine nicht ausgejätete Sauerampferstaude ummäht werden
mußte. Der Alte bewerkstelligte das mit größter Leichtigkeit. Kam er an einen Höcker, so änderte er die Bewegung
und mähte bald mit dem Sensenhacken, bald mit dem spitzen Ende den Höcker von beiden Seiten mit kurzen Hieben rein.
Und während er dergleichen tat, sah und beobachtete er doch alles, worauf er traf; bald pflückte er eine Siegwurz
ab und aß sie auf oder gab sie Ljewin zum Essen, bald warf er mit dem spitzen Ende der Sense einen Zweig beiseite,
bald betrachtete er ein Wachtelnest, von dem das Weibchen erst dicht unter der Sense aufgeflogen war, bald fing er
eine kleine Schlange, die ihm in den Weg kam, hob sie, wie auf einer Gabel, mit der Sense in die Höhe, zeigte sie
Ljewin und schleuderte sie zur Seite.
Sowohl Ljewin wie dem jungen Burschen hinter ihm fielen solche Veränderungen der Bewegungen schwer. Sie befanden
sich beide, nachdem sie sich einmal in eine bestimmte kräftige Bewegung eingearbeitet hatten, in einer Art von
Arbeitswut und waren nicht imstande, die Bewegung zu verändern und gleichzeitig auch noch zu beobachten, was vor
ihnen war.
Ljewin merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Hätte ihn jemand gefragt, wie lange er schon gemäht habe, so
würde er gesagt haben: eine halbe Stunde; und doch rückte die Mittagszeit schon heran. Als sie die Reihe
zurückgingen, um eine neue anzufangen, lenkte der Alte Ljewins Aufmerksamkeit auf eine Menge kleiner Mädchen und
Knaben, die von verschiedenen Seiten her, kaum sichtbar, durch das hohe Gras und auf dem Wege nach den Mähern
hinstrebten und Bündel mit Brot sowie oben mit Lappen verstopfte Krüge mit Kwaß schleppten, so daß die Last ihnen
die schwachen Ärmchen herunterzog.
»Sieh mal, da kommen die Käferchen angekrochen!« sagte er, indem er auf sie hinzeigte, und blickte, die Augen
mit der Hand beschützend, nach der Sonne.
Sie erledigten noch zwei Reihen dann blieb der Alte stehen.
»Na, Herr, jetzt kommt das Mittagessen!« sagte er in entschiedenem Tone. Und sobald die Mäher beim Flusse
angelangt waren, begaben sie sich über die Schwaden hinweg zu ihren Röcken, wo die Kinder, die das Mittagessen
gebracht hatten, saßen und auf sie warteten. Die Bauern setzten sich zusammen, die von weiter her gekommen in den
Schatten ihrer Wagen, die aus der Nähe stammenden unter Weidengebüsch, über das sie Gras geworfen hatten.
Ljewin setzte sich zu ihnen; er hatte keine Lust wegzureiten.
Alle Befangenheit vor dem Herrn war schon längst verschwunden. Die Bauern schickten sich an, ihre Mahlzeit
einzunehmen. Manche wuschen sich; von den jüngeren Männern badeten einige im Flusse; andere machten sich ihr
Ruheplätzchen zurecht, banden die Brotbündel auf und öffneten die Krüge mit Kwaß. Der Alte brockte Brot in eine
Schüssel mit Wasser, zerdrückte es mit dem Löffelstiel, goß noch Wasser aus dem Wetzsteinköcher hinzu, schnitt noch
etwas Brot hinein und streute Salz dazu; dann wandte er sich nach Osten, um zu beten.
»Nun, wie ist's, Herr? Willst du meine Brotsuppe kosten?« fragte er und ließ sich vor seiner Schüssel auf die
Knie nieder.
Die Brotsuppe war so schmackhaft, daß Ljewin seine Absicht, nach Hause zu reiten, um dort zu Mittag zu essen,
aufgab. Er aß mit dem Alten zusammen und unterhielt sich mit ihm über dessen häusliche Angelegenheiten, die sein
lebhaftes Interesse erregten; auch teilte er von seinen eigenen Angelegenheiten dem Alten allerlei mit, was diesen
interessieren konnte. Er fühlte sich ihm näher als
Weitere Kostenlose Bücher