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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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tauigen Schatten. Es wurde mit
    Aufgebot aller Kraft gearbeitet.
    Das mit saftigem Tone abgehauene, würzig duftende Gras legte sich in hohen Schwaden nieder. Bei der Kürze der
    Reihen drängten sich die Mäher überall; die Wetzsteinköcher klapperten; die aufeinanderstoßenden Sensen klirrten;
    die Wetzsteine fuhren zischend an den Sensen hin; mit fröhlichen Zurufen trieben die Leute einander wechselseitig
    zur Eile an.
    Ljewin ging auch jetzt wieder zwischen dem jungen Burschen und dem Alten. Der Alte, der seine Schaffelljacke
    wieder angezogen hatte, war noch ebenso lustig, spaßliebend und leichtbeweglich wie vorher. Im Walde stießen sie
    fortwährend auf Birkenpilze, die in dem saftigen Grase üppig gewachsen waren und nun von den Sensen zerschnitten
    wurden. Aber der Alte bückte sich jedesmal, wenn er auf einen Pilz stieß, und schob ihn sich an der Brust unter das
    Hemd. »Den bringe ich meiner Alten auch noch mit«, sagte er dabei.
    So leicht es auch war, das feuchte, weiche Gras zu mähen, so schwierig war es, an den steilen Abhängen der
    Schlucht hinunter und hinauf zu steigen. Aber dem Alten machte das nichts aus. Immer gleichmäßig die Sense
    schwingend, stieg er in seinen großen Bastschuhen mit kleinen, festen Schritten langsam die steile Böschung hinan,
    und obgleich er am ganzen Leibe zitterte und die unter dem Hemde herabgerutschten Hosen schlotterten, ließ er doch
    auf seinem Wege keinen Grashalm ungemäht und keinen Pilz ungepflückt und machte mit den Bauern und mit Ljewin seine
    Späßchen ganz wie vorher. Ljewin ging hinter ihm und dachte oft, er werde sicher zu Fall kommen, da er mit der
    Sense einen Abhang hinanstieg, der so steil war, daß es auch ohne Sense nicht leicht gewesen wäre hinaufzukommen;
    aber er kam doch hinauf und verrichtete seine Arbeit ordnungsmäßig. Er hatte ein Gefühl, als ob irgendeine äußere
    Gewalt ihn in Bewegung setzte.

6
    Die Maschkin-Höhe war gemäht, die letzten Reihen fertiggebracht; die Mäher zogen ihre Röcke an und machten sich
    fröhlich auf den Heimweg. Ljewin setzte sich auf sein Pferd, nahm mit Bedauern von den Bauern Abschied und ritt
    nach Hause. Vom Berge aus sah er sich noch einmal um: die Leute waren in dem Nebel, der sich aus der Niederung
    erhob, nicht mehr zu sehen; er hörte nur ihre munteren, derben Stimmen, ihr Lachen und den Klang der
    aneinanderstoßenden Sensen.
    Sergei Iwanowitsch hatte schon längst seine Mittagsmahlzeit beendet, trank auf seinem Zimmer Zitronenlimonade
    mit Eis und sah dabei die soeben von der Post gekommenen Zeitungen und Zeitschriften durch, als Ljewin zu ihm
    hereingestürzt kam. Aber wie sah Ljewin aus: die wirren Haare klebten ihm, feucht von Schweiß, an der Stirn; auch
    die Kleidung an Rücken und Brust war von Schweiß naß und dunkel. Sehr vergnügt rief er seinem Bruder zu:
    »Wir haben die ganze Wiese fertigbekommen! Ach, wie schön war das, ganz wundervoll! Und wie hast du den Tag
    verlebt?« Das gestrige unangenehme Gespräch hatte Ljewin vollständig vergessen.
    »Um des Himmels willen, wie siehst du aus!« rief Sergei Iwanowitsch und betrachtete im ersten Augenblick seinen
    Bruder mit lebhafter Mißbilligung. »Und die Tür, die Tür! Mach doch die Tür zu!« schrie er. »Du hast sicher ein
    ganzes Dutzend hereingelassen.«
    Sergei Iwanowitsch konnte die Fliegen nicht ausstehen; daher öffnete er in seinem Zimmer die Fenster nur des
    Nachts und hielt die Türen immer sorgsam geschlossen.
    »Gott bewahre! Nicht eine einzige! Und wenn ich wirklich welche hereingelassen haben sollte, so werde ich sie
    dir wieder wegfangen. Du glaubst gar nicht, was das für ein Genuß war! Na, und du, wie hast du denn den Tag
    verbracht?«
    »Oh, ganz gut. Aber hast du wirklich den ganzen Tag gemäht? Ich denke mir, du wirst hungrig sein wie ein Wolf.
    Dein Kusma hat alles für dich bereitgestellt.«
    »Nein, ich habe überhaupt keine Lust zu essen. Ich habe schon da draußen gegessen. Aber ich will gehen und mich
    waschen.«
    »Na, dann geh nur, geh nur; ich werde auch gleich zu dir ins Eßzimmer kommen«, sagte Sergei Iwanowitsch und sah
    seinen Bruder kopfschüttelnd an. »Geh doch, mach schnell!« fügte er lächelnd hinzu, packte seine Drucksachen
    zusammen und schickte sich auch seinerseits an, hinauszugehen. Er war selbst auf einmal so vergnügt geworden und
    mochte sich gar nicht von seinem Bruder trennen. »Aber wo bist du denn während des Regens gewesen?«
    »Ach, das war ja eigentlich gar kein Regen!

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