Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
Stiel liegt zu hoch; sieh mal, wie er sich bücken muß«, sagte einer.
    »Drück mehr mit dem Sensenhacken an!« ermahnte ihn ein andrer.
    »Schadet nichts! Laß nur gut sein, er wird schon in Zug kommen«, meinte der Alte. »Sieh nur, wie er
    drauflosgeht! ... Du nimmst den Strich zu breit, du wirst müde werden ... Ja, ja, es heißt ganz richtig: wenn sich
    der Gutsherr plagt, so hat er den Segen davon! Aber sieh mal, was hast du für einen Kamm stehen lassen! Dafür
    könnte unsereiner einen Buckel voll Prügel besehen.«
    Jetzt kamen sie in weicheres Gras, und Ljewin, der auf die Bemerkungen hörte, aber nicht antwortete, ging immer
    hinter Tit her und gab sich Mühe, möglichst gut zu mähen. Sie hatten ungefähr hundert Schritte zurückgelegt. Tit
    ging stets gleichmäßig vorwärts, ohne stehenzubleiben und ohne die geringste Müdigkeit merken zu lassen; bei Ljewin
    aber regte sich bereits die Besorgnis, ob er auch werde bis zu Ende aushalten können, so müde war er schon.
    Er fühlte, daß er die Sense mit seiner letzten Kraft schwang, und beschloß, Tit zu bitten, daß er anhalten
    möchte. Aber in diesem Augenblick blieb Tit von selbst stehen, bückte sich, nahm eine Handvoll Gras, wischte die
    Sense ab und begann sie zu wetzen. Ljewin reckte sich zurecht und blickte sich, tief aufatmend, um. Hinter ihm kam
    ein Bauer, der offenbar ebenfalls müde geworden war; denn er blieb sogleich, ohne zu Ljewin ganz heranzukommen,
    stehen und machte sich an das Wetzen. Tit wetzte seine eigene Sense und die Sense Ljewins, und dann gingen sie
    weiter.
    Bei diesem zweiten Angriff wiederholte sich derselbe Vorgang. Tit schritt, einen Hieb nach dem andern führend,
    dahin, ohne stehenzubleiben und ohne müde zu werden. Ljewin ging hinter ihm her und gab sich alle Mühe, nicht
    zurückzubleiben, und es wurde ihm immer schwerer und schwerer: es kam der Augenblick, wo er fühlte, daß er keine
    Kraft mehr hatte; aber gerade in diesem Augenblicke blieb Tit stehen und wetzte.
    So mähten sie die erste Reihe herunter. Diese lange Reihe hatte Ljewin besonders schwer gefunden. Aber dafür
    fühlte er sich auch sehr glücklich, als sie an das Ende der Reihe gelangt waren und Tit die Sense auf die Schulter
    nahm und langsamen Schrittes auf den Stapfen zurückging, die seine Stiefelhacken auf dem gemähten Streifen
    hinterlassen hatten, und er, Ljewin, ebenso auf dem von ihm gemähten Streifen zurückging. Und seine frohe Stimmung
    wurde auch dadurch nicht beeinträchtigt, daß ihm der Schweiß nur so über das Gesicht strömte und von der Nase
    tropfte und sein ganzer Rücken so naß war, als wenn er im Wasser gelegen hätte. Namentlich freute er sich darüber,
    daß er jetzt wußte, er werde bis zu Ende aushalten können.
    Getrübt wurde sein Vergnügen nur dadurch, daß seine Reihe nicht gut ausgefallen war. ›Ich will weniger mit dem
    Arm schwingen und mehr mit dem ganzen Oberkörper‹, dachte er, als er Tits schnurgerade gemähte Reihe mit seiner
    eigenen zackig und ungleichmäßig daliegenden Reihe verglich.
    Bei der ersten Reihe war Tit, wie Ljewin bemerkte, besonders schnell vorwärts gegangen, wohl um den Herrn auf
    die Probe zu stellen, und diese Reihe war gerade besonders lang gewesen. Die folgenden Reihen wurden Ljewin schon
    leichter; aber er mußte trotzdem alle seine Kräfte anspannen, um nicht hinter den Bauern zurückzubleiben.
    Er hatte keinen andern Gedanken und keinen anderen Wunsch, als nicht hinter den Bauern zurückzubleiben und die
    Arbeit so gut wie möglich auszuführen. Er hörte nichts als das Zischen der Sensen und sah nur vor sich die gerade
    aufgerichtete, von ihm wegschreitende Gestalt Tits, den ausgebuchteten Halbkreis, den der Sensenhieb auf der Wiese
    bildete, die langsam und wellenartig sich neigenden Gräser und Blumenköpfchen an der Schneide seiner Sense und in
    einiger Entfernung das Ende der Reihe, wo die Ruhepause eintreten würde.
    Ohne sich Rechenschaft geben zu können, was das war und woher es kam, empfand er auf einmal mitten in der Arbeit
    ein angenehmes Gefühl von Kühle an seinen heißen, schweißbedeckten Gliedern. Er blickte nach dem Himmel hinauf,
    während seine Sense gewetzt wurde. Eine tief herabhängende, schwere Wolke war herbeigezogen und schickte einen
    tüchtigen Regen herab. Manche von den Bauern gingen zu ihren Röcken hin und zogen sie an; andere regten gerade wie
    Ljewin nur erfreut die Schultern bei der angenehmen Erfrischung.
    Eine Reihe nach der andern legten sie

Weitere Kostenlose Bücher