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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Kaum getröpfelt hat es. Also ich komme sofort. Also du hast den Tag
    angenehm verbracht? Na, das ist ja prächtig!« Und Ljewin ging fort, um sich umzukleiden.
    Fünf Minuten darauf fanden sich die Brüder im Eßzimmer wieder zusammen. Ljewin glaubte zwar gar keinen Appetit
    zu haben und setzte sich nur, um Kusma nicht zu kränken, an den gedeckten Tisch; aber sobald er zu essen anfing,
    kamen ihm die Speisen ungewöhnlich schmackhaft vor. Sergei Iwanowitsch sah ihm lächelnd zu.
    »Ach ja, es ist auch ein Brief für dich da«, sagte er. »Kusma, bitte, hole ihn doch von unten herauf! Aber
    vergiß nicht, die Tür ordentlich zuzumachen.«
    Der Brief war von Oblonski. Ljewin las ihn laut vor. Oblonski schrieb aus Petersburg: »Ich habe einen Brief von
    Dolly erhalten; sie ist in Jerguschow und kann da gar nicht zurechtkommen. Bitte, fahre doch einmal zu ihr hin und
    unterstütze sie mit deinem Rate; du weißt ja mit all solchen Sachen Bescheid. Sie wird sich außerordentlich freuen,
    dich wiederzusehen. Sie ist da ganz allein, die Ärmste. Meine Schwiegermutter ist mit der übrigen Familie immer
    noch im Auslande.«
    »Das ist ja ausgezeichnet! Ich will auf jeden Fall zu ihr hinüberfahren«, sagte Ljewin. »Oder wir könnten auch
    beide zusammen hinfahren. Sie ist eine ganz prächtige Frau. Nicht wahr?«
    »Sie wohnt wohl nicht weit von hier?«
    »Etwa dreißig Werst. Es mögen auch vierzig sein. Aber ausgezeichneter Weg. Wir werden sehr gut fahren.«
    »Ich werde mit großem Vergnügen mitkommen«, erwiderte Sergei Iwanowitsch, noch immer lächelnd.
    Der Anblick seines jüngeren Bruders versetzte ihn unwillkürlich in eine heitere Stimmung.
    »Na, an Appetit fehlt es dir ja nicht!« bemerkte er, während er sein über den Teller gebeugtes braunrot
    gebranntes Gesicht und den gleichfarbigen Hals betrachtete.
    »Es schmeckt mir vorzüglich! Du glaubst gar nicht, welch ein nützliches Gegenmittel gegen alle möglichen
    Torheiten eine derartige Lebensweise ist. Ich möchte die ärztliche Wissenschaft mit einem neuen terminus technicus
    bereichern: Arbeitskur.«
    »Na, du hast eine solche Kur ja doch wohl nicht nötig.«
    »Nein, aber bei allerlei Nervenleiden würde sie gute Dienste tun.«
    »Ja, das müßte man praktisch erproben. Ich wollte eigentlich auch zum Mähen nach der Wiese kommen, um dir
    zuzusehen; aber die Hitze war so unerträglich, daß ich nicht weiter als bis zum Walde gekommen bin. Da habe ich ein
    Weilchen gesessen und bin dann durch den Wald nach dem Dorfe gegangen; dort traf ich deine alte Amme und sondierte
    bei ihr ein bißchen über die Ansichten, die die Bauern über dich haben. Soviel ich habe merken können, findet dein
    Treiben nicht den Beifall der Bauern. Sie sagte: ›Das ist keine Arbeit für einen Herrn.‹ Überhaupt scheint mir, daß
    in der Auffassung der Bauern die Merkmale der Tätigkeit, die nach ihrer Meinung den Herren zukommt, sehr genau
    festgestellt sind. Und sie wollen nichts davon wissen, daß die Herren die Grenzen überschreiten, die sie ihnen mit
    ihrem Begriffsvermögen gesetzt haben.«
    »Das mag ja sein; aber ich habe von dieser Arbeit einen solchen Genuß, wie ich ihn in meinem ganzen Leben noch
    nicht gekostet habe. Und es ist ja doch nichts Böses dabei, nicht wahr?« versetzte Ljewin. »Wenn es ihnen nicht
    gefällt, kann ich ihnen nicht helfen. Übrigens glaube ich, daß es mit dieser Unzufriedenheit nicht gar so schlimm
    ist. Wie?«
    »Du bist«, fuhr Sergei Iwanowitsch fort, »wie ich sehe, überhaupt mit diesem Tage zufrieden.«
    »Sehr zufrieden. Wir haben die ganze Wiese abgemäht. Und mit einem ganz prächtigen alten Manne habe ich mich da
    angefreundet! Du kannst dir gar keine Vorstellung davon machen, wie nett und interessant das war.«
    »Na also, du bist mit deinem heutigen Tagewerk zufrieden. Und ich desgleichen mit dem meinigen. Erstens habe ich
    zwei Schachaufgaben gelöst, und eine davon war recht hübsch: es wird zuerst ein Bauer gezogen. Ich werde es dir
    noch zeigen. Und dann habe ich über unser gestriges Gespräch nachgedacht.«
    »Worüber? Über unser gestriges Gespräch?« fragte Ljewin. Er kniff nach beendeter Mahlzeit glückselig die Augen
    zusammen und stöhnte wohlig, vermochte sich aber schlechterdings nicht zu besinnen, was das gestern für ein
    Gespräch gewesen sein sollte.
    »Ich finde, daß du teilweise recht hast. Unsere Meinungsverschiedenheit besteht darin, daß du das persönliche
    Interesse als die treibende Kraft hinstellst,

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