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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Betriebe der Wirtschaft nur störend wirken. Nach ihrer Auffassung lag die Sache viel
    einfacher: man brauche nur, wie Matrona Filimonowna ihr erklärt hatte, der Buntscheckigen und der Weißbauchigen
    mehr Futter und Trank zu geben und nicht zuzulassen, daß der Koch das Spülicht aus der Küche für die Kuh der
    Waschfrau wegtrage. Das war ihr verständlich. Dagegen erschienen ihr Vorschläge über Kleienfütterung und
    Grasfütterung unsicher und unklar. Und was die Hauptsache war: sie wollte jetzt über Kitty sprechen.

10
    »Kitty schreibt mir, sie wünsche nichts sehnlicher als Einsamkeit und Ruhe«, sagte Dolly, nachdem beide ein
    Weilchen geschwiegen hatten.
    »Und wie ist es mit ihrer Gesundheit? Geht es besser?« fragte Ljewin in merklicher Aufregung.
    »Gott sei Dank, sie ist völlig wiederhergestellt. Ich habe nie daran geglaubt, daß sie brustkrank wäre.«
    »Ach, das freut mich recht!« rief Ljewin, und Dolly fand, während er das sagte und sie dann schweigend ansah,
    auf seinem Gesichte einen Ausdruck rührender Hilflosigkeit.
    »Hören Sie mal, Konstantin Dmitrijewitsch«, sagte Darja Alexandrowna, und sie lächelte dabei in ihrer gutmütigen
    und zugleich ein wenig spöttischen Weise, »warum sind Sie eigentlich auf Kitty böse?«
    »Ich? Ich bin nicht böse auf sie«, versetzte Ljewin.
    »Doch, doch, Sie sind böse auf sie. Warum sind Sie denn, als Sie in Moskau waren, weder zu uns noch zu ihnen
    gekommen?«
    »Darja Alexandrowna«, erwiderte er und errötete bis an die Haarwurzeln, »ich muß mich wundern, daß Sie bei Ihrer
    Herzensgüte das nicht fühlen. Sie müßten doch Mitleid mit mir haben, da Sie wissen ...«
    »Was weiß ich denn?«
    »Sie wissen, daß ich ihr einen Antrag gemacht habe und abgewiesen worden bin«, brachte Ljewin heraus, und die
    ganze Zärtlichkeit, die er noch einen Augenblick vorher für Kitty empfunden hatte, wich in seiner Seele dem Gefühle
    des Ingrimms über die erlittene Kränkung.
    »Warum glauben Sie, daß ich das weiß?«
    »Weil es alle wissen.«
    »Darin irren Sie sich denn doch; ich für meine Person habe es nicht gewußt, wiewohl ich es vermutete.«
    »So. Nun, dann wissen Sie es jetzt.«
    »Ich wußte nur so viel, daß irgend etwas geschehen war, worüber sie sich schrecklich grämte; sie hat mich
    gebeten, ich möchte nie mit ihr davon zu reden anfangen. Nun, und wenn sie es mir nicht gesagt hat, so hat sie es
    niemandem gesagt. Aber was ist denn zwischen Ihnen beiden eigentlich vorgefallen? Sagen Sie es mir doch!«
    »Ich habe Ihnen ja schon gesagt, was vorgefallen ist.«
    »Wann ist denn das vorgefallen?«
    »Als ich zum letztenmal bei Ihnen war.«
    »Wissen Sie, ich muß Ihnen sagen«, erwiderte Darja Alexandrowna, »sie tut mir furchtbar leid, ganz furchtbar
    leid. Aber Sie, Sie leiden ja nur aus verletztem Stolz.«
    »Kann sein«, versetzte Ljewin, »aber ...«
    Sie unterbrach ihn.
    »Aber sie, die Ärmste, tut mir furchtbar, ganz furchtbar leid. Jetzt ist mir alles verständlich geworden.«
    »Nun, entschuldigen Sie mich, Darja Alexandrowna«, sagte er und stand auf. »Leben Sie wohl, Darja Alexandrowna!
    Auf Wiedersehen!«
    »Aber nicht doch! Bleiben Sie noch!« versetzte sie und faßte ihn am Ärmel. »Bleiben Sie noch, setzen Sie
    sich!«
    »Ich bitte inständigst: wir wollen über diesen Gegenstand nicht weiter sprechen«, sagte er und setzte sich
    wieder hin; aber er fühlte zugleich, daß in seinem Herzen eine Hoffnung, die er schon für tot und begraben gehalten
    hatte, wieder erwachte und sich regte.
    »Wenn ich Sie nicht so gern hätte«, sagte Darja Alexandrowna, und die Tränen traten ihr dabei in die Augen,
    »wenn ich Sie nicht kennte, wie ich Sie kenne ...«
    Das Gefühl, das er für tot gehalten hatte, lebte immer mehr und mehr auf, gewann an Kraft und nahm Ljewins Herz
    wieder in Besitz.
    »Ja, jetzt ist mir alles verständlich geworden«, fuhr Darja Alexandrowna fort. »Sie können das nicht verstehen;
    euch Männern, die ihr frei seid und wählen könnt, euch ist immer klar, wen ihr liebt. Aber ein Mädchen, das darauf
    angewiesen ist, zu warten, und von ihrem weiblichen, mädchenhaften Schamgefühl zurückgehalten wird, ein Mädchen,
    das euch Männer nur so von weitem zu sehen bekommt und alles auf Treu und Glauben hinnimmt, bei einem Mädchen kann
    manchmal ein Gefühl so unklar sein, daß sie nicht weiß, was sie darüber sagen soll.«
    »Ja, wenn das Herz nicht spricht ...«
    »Nicht doch, das Herz spricht; aber überlegen Sie

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