Anna Karenina
Ljewin, daß
bei dieser Teilung des Heues etwas nicht richtig sei, und er beschloß, selbst hinzureiten und die Sache zu
untersuchen.
Er kam gegen Mittag im Dorfe an, stellte sein Pferd in dem Gehöft eines ihm befreundeten alten Bauern unter, des
Mannes der Amme seines Bruders, und suchte diesen selbst auf seinem Bienenstande auf, da er von ihm gern Näheres
über die Heuernte erfahren hätte. Der gesprächige, stattliche Alte – er hieß Parmenow – begrüßte Ljewin
hocherfreut, zeigte ihm seine ganze Wirtschaft und erzählte sehr eingehend von seinen Bienen und von dem Schwärmen
in diesem Jahre; aber Ljewins Fragen nach der Heuernte beantwortete er nur unbestimmt und mit sichtlichem
Widerstreben. Dadurch fühlte sich Ljewin in seinen Vermutungen nur noch mehr bestärkt. Er ging auf die Wiesen und
sah sich die Schober an. Unmöglich konnten diese Schober je fünfzig Fuhren enthalten, und um die Bauern zu
überführen, ließ Ljewin sofort einige mit dem Heueinfahren beschäftigte Gespanne heranholen, das Heu eines Schobers
aufladen und in die Scheune fahren. Aus dem Schober kamen nur zweiunddreißig Fuhren heraus. Trotz der Beteuerungen
des Dorfschulzen, das Heu sei sehr locker gewesen und habe sich dann in den Schobern gesackt, und obwohl er Gott
zum Zeugen anrief, daß er mit der größten Gewissenhaftigkeit verfahren sei, ließ sich Ljewin doch nicht von seinem
Standpunkte abbringen, das Heu sei ohne seine Anweisung geteilt, und er nehme daher dieses Heu nicht als fünfzig
Fuhren für den Schober an. Nach langem Hinundherstreiten wurde die Sache in der Weise entschieden, daß die Bauern
diese elf Schober, jeden auf fünfzig Fuhren berechnet, mit auf ihren Anteil nehmen sollten; für den
herrschaftlichen Anteil sollte eine neue Zuteilung vorgenommen werden. Die Verhandlungen und das Verteilen der
Haufen dauerte bis zur Vesperzeit. Als das letzte Heu verteilt war, beauftragte Ljewin mit der weiteren
Beaufsichtigung den Gutsschreiber, setzte sich auf einen durch eine hineingesteckte Weidenrute als herrschaftlich
bezeichneten Heuhaufen und betrachtete mit Vergnügen die von geschäftigen Menschen wimmelnde Wiese.
Vor ihm, an der Krümmung des Flusses jenseits eines kleinen Sumpfes, bewegte sich, mit helltönenden Stimmen
lustig schnatternd, eine bunte Reihe von Bauersfrauen, und aus dem ausgebreitet daliegenden Heu wurden schnell auf
dem graugrünen Untergrunde graue, unregelmäßig gekrümmte Wälle zusammengeharkt. Hinter den Weibern her gingen die
Bauern mit Heugabeln, und aus den Wällen entstanden breite, hohe, lockere Haufen. Zur Linken rasselten über die
schon abgeerntete Wiese die Wagen dahin, und die Heuhaufen, in riesigen Ballen mit Gabeln auf die Wagen
hinaufgereicht, verschwanden einer nach dem andern, und dafür türmten sich auf den Wagen schwere Ladungen duftigen
Heues auf, die tief auf die Hinterteile der Pferde niederhingen.
»Ist das ein Wetter zum Heuen! Und ein Heu wird es – wie Tee so zart!« sagte der Alte und ließ sich neben Ljewin
nieder. »Gerade wie wenn man den Enten Korn hinschüttet, so räumen sie auf!« fügte er hinzu, auf die Leute deutend,
die die Heuhaufen aufluden. »Seit Mittag ist gut die Hälfte eingefahren.«
»Holst wohl die letzte Fuhre, was?« rief er einen jungen Burschen an, der vorn vor dem Wagenkasten stehend und
mit den Enden seiner hänfenen Leinen schwenkend vorbeifuhr.
»Jawohl, die letzte, Väterchen!« schrie der Bursche, hielt das Pferd an, blickte sich lächelnd nach einer
heiteren, gleichfalls lächelnden, rotbackigen Frau um, die im Wagenkasten saß, und jagte dann weiter.
»Wer ist das? Ein Sohn von dir?« fragte Ljewin.
»Mein Jüngster«, erwiderte der Alte mit freundlichem Lächeln.
»Ein frischer, strammer Bursche!«
»Nun ja, es macht sich.«
»Ist er schon verheiratet?«
»Ja, am Philippstage waren's schon zwei Jahre.«
»Na, und sind Kinder da?«
»Kinder? Gott bewahre! Ein ganzes Jahr lang hat er überhaupt nichts verstanden; eine wahre Schande!« antwortete
der Alte. »Aber das ist ein Heu! Der reine Tee!« sagte er noch einmal, um das Gespräch auf einen anderen Gegenstand
zu bringen.
Ljewin betrachtete nun aufmerksamer Iwan Parmenow und seine Frau. Sie luden nicht weit von ihm einen Heuhaufen
auf. Iwan Parmenow stand auf dem Wagen, nahm die gewaltigen Heuballen, die ihm seine hübsche junge Frau anfangs mit
den Armen, dann mit der Gabel geschickt hinreichte, in Empfang, verteilte sie
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