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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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nur: ihr Männer, wenn ihr ein Auge auf ein junges Mädchen
    geworfen habt, dann verkehrt ihr in dem betreffenden Hause, ihr nähert euch ihr, seht sie euch genau an und wartet
    ab, ob ihr auch an ihr die Eigenschaften findet, die ihr gern mögt, und dann, wenn ihr überzeugt seid, daß ihr das
    Mädchen wirklich liebt, macht ihr euren Antrag ...«
    »Nun, ganz so ist es nicht.«
    »Das tut nichts; jedenfalls macht ihr euren Antrag erst dann, wenn eure Liebe völlig zur Reife gelangt ist oder
    wenn bei euch zwischen zwei zur Wahl Stehenden sich ein Übergewicht nach der einen oder der anderen Seite
    herausgestellt hat. Aber ein junges Mädchen wird nicht gefragt, welchen Mann sie wohl am liebsten haben möchte. Da
    verlangt man nun, sie solle sich selbst einen wählen, und sie ist doch gar nicht in der Lage, einen zu wählen,
    sondern kann nur ja und nein antworten.«
    ›Ja, die Wahl zwischen mir und Wronski‹, dachte Ljewin, und der in seiner Seele auferstandene Leichnam starb
    wieder und sank als qualvoll drückende Last auf sein Herz zurück.
    »Darja Alexandrowna«, sagte er, »in dieser Weise wählt man ein Kleid oder sonst etwas, was man kaufen will; aber
    bei der Liebe geht es doch anders zu. Die Wahl ist vollzogen, nun gut ... Eine Wiederholung ist unmöglich.«
    »Ach, dieser Stolz, immer dieser Stolz!« erwiderte Darja Alexandrowna, wie wenn sie ihn wegen der Niedrigkeit
    dieses Gefühls im Vergleich mit jenem anderen Gefühle, das nur den Frauen bekannt sei, verachtete. »Damals, als Sie
    Kitty einen Antrag machten, da befand sie sich gerade in einer Lage, die ihr die Antwort erschwerte. Es war bei ihr
    ein Zustand des Hin- und Herschwankens. Sie schwankte: Sie oder Wronski. Ihn sah sie täglich; Sie hatte sie seit
    längerer Zeit nicht mehr gesehen. Allerdings, wenn sie älter gewesen wäre ... Für mich zum Beispiel wäre an ihrer
    Stelle ein Schwanken ausgeschlossen gewesen. Er ist mir immer zuwider gewesen, und der Ausgang hat mir recht
    gegeben.«
    Ljewin dachte an Kittys Antwort. Sie hatte gesagt: ›Es kann nicht sein ...‹
    »Darja Alexandrowna«, antwortete er trocken, »ich weiß das gute Zutrauen, das Sie zu mir haben, zu schätzen.
    Aber ich glaube, Sie irren sich. Indessen, ob ich nun recht oder unrecht habe, jedenfalls hat dieser von Ihnen so
    verachtete Stolz die Wirkung, daß für mich jeder Gedanke an Katerina Alexandrowna ein Ding der Unmöglichkeit ist
    ... verstehen Sie wohl: geradezu ein Ding der Unmöglichkeit.«
    »Ich möchte nur noch eins sagen: bedenken Sie, daß ich von meiner Schwester rede, die ich ebenso liebhabe wie
    meine eigenen Kinder. Ich sage nicht, daß sie Sie liebt; ich wollte nur sagen, daß ihre abschlägige Antwort in
    jenem Augenblicke nichts beweist.«
    »Das weiß ich denn doch nicht!« rief Ljewin aufspringend. »Wenn Sie wüßten, wie wehe Sie mir tun! Es ist
    dasselbe, wie wenn Ihnen ein Kind gestorben wäre und jemand zu Ihnen sagte: ›Soundso hätte das Kind sein sollen,
    dann hätte es können am Leben bleiben, und Sie hätten Ihre Freude an ihm gehabt.‹ Aber es ist doch nun tot, tot,
    tot ...«
    »Wie komisch Sie sind«, sagte Darja Alexandrowna mit trübem Lächeln, da sie Ljewins Erregung sah. »Ja, ja, jetzt
    wird mir alles immer besser verständlich«, fuhr sie nachdenklich fort. »Sie werden also wohl nicht zu uns kommen,
    wenn Kitty hier ist?«
    »Nein, ich werde nicht kommen. Natürlich werde ich Katerina Alexandrowna nicht ängstlich vermeiden; aber soweit
    ich kann, werde ich mich bemühen, ihr die Unannehmlichkeit meiner Anwesenheit zu er sparen.«
    »Sie sind sehr, sehr komisch«, sagte Darja Alexandrowna noch einmal und blickte ihm dabei voll herzlicher
    Freundlichkeit ins Gesicht. »Also gut, wir wollen dieses ganze Gespräch als ungeschehen betrachten. Nun, was
    wünschest du, Tanja?« fragte Darja Alexandrowna auf französisch ihr Töchterchen, das in die Veranda kam.
    »Wo ist meine Schaufel, Mama?«
    »Ich spreche Französisch, dann mußt du es auch tun.«
    Die Kleine wollte ihre Frage auf französisch wiederholen, hatte aber vergessen, wie die Schaufel auf französisch
    heißt; die Mutter half ihr ein und sagte ihr dann auf französisch, wo sie die Schaufel suchen müsse. Das machte auf
    Ljewin einen unangenehmen Eindruck.
    Jetzt kam ihm an Darja Alexandrownas Haushalt und an ihren Kindern alles gar nicht mehr so hübsch und nett vor
    wie vorher.
    ›Und warum spricht sie mit den Kindern Französisch?‹ dachte er. ›Wie

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