Anna Karenina
Gesellschaft, die Sie bei mir finden, bloßgestellt zu werden. Bitte,
den Tee für uns in den kleinen Salon!« sagte sie zu dem Diener und kniff dabei die Augen zusammen, wie sie das im
Verkehr mit der Dienerschaft stets tat.
Sie nahm ihm den Brief ab und las ihn durch.
»Da spielt uns Alexei einen Streich«, sagte sie auf französisch. »Er schreibt, er könne nicht kommen«, fügte sie
in so natürlichem, harmlosem Tone hinzu, als könnte es ihr überhaupt nie in den Sinn kommen zu glauben, daß Anna,
abgesehen vom Krocketspiel, an Wronski irgendwelches Interesse nähme. Anna wußte, daß Betsy vollständig
unterrichtet war; aber wenn sie hörte, in welcher Weise Betsy in ihrer Gegenwart über Wronski sprach, so bildete
sie sich immer einen Augenblick ein, daß jene nichts wisse.
»Ah!« machte Anna gleichgültig, als ob sie das wenig interessiere, und fuhr dann lächelnd fort: »Wie kann die
Gesellschaft, die man bei Ihnen findet, jemanden bloßstellen!«
Dieses Spiel mit Worten, dieses Verbergen eines Geheimnisses hatte, wie für alle Frauen, so auch für Anna einen
großen Reiz. Und das Reizvolle lag dabei nicht in irgendwelcher Notwendigkeit, etwas zu verstecken, auch nicht in
irgendwelchem Zwecke, der mit dem Verstecken verfolgt worden wäre, sondern in der Handlung des Versteckens
selbst.
»Wozu sollte ich katholischer sein als der Papst?« antwortete Betsy. »Stremow und Lisa Merkalowa, die sind ja
die crème de la crème in der guten Gesellschaft. Und dann verkehren sie doch auch überall, und ich (sie legte auf
dieses ›ich‹ einen besonderen Nachdruck), ich bin niemals streng und unduldsam gewesen. Dazu habe ich einfach keine
Zeit. Aber Sie mögen vielleicht nicht gerne mit Stremow zusammentreffen? Lassen wir doch ruhig ihn und Alexei
Alexandrowitsch in den Komiteesitzungen ihre Fehde auskämpfen; uns geht das ja nichts an. Aber in Gesellschaft ist
er der liebenswürdigste Mensch, den ich überhaupt kenne, und ein leidenschaftlicher Krocketspieler. Sie werden es
ja selbst sehen. Und trotz seiner komischen Stellung als bejahrter Anbeter Lisas ist es sehenswert, wie er sich aus
dieser komischen Lage herauswickelt! Er ist ein sehr netter Mensch. Sappho Stoltz kennen Sie nicht? Das ist ein
neuer, ganz neuer Typ.«
Während Betsy all dies herredete, merkte Anna an ihrem lustigen, klugen Blicke, daß sie ihre Gemütsverfassung
zum Teil verstand und irgend etwas im Schilde führte. Sie befanden sich augenblicklich in Betsys kleinem
Arbeitszimmer.
»Ich muß aber doch noch an Alexei schreiben«, sagte Betsy, setzte sich an den Tisch, schrieb ein paar Zeilen und
steckte das Blatt in einen Umschlag. »Ich habe ihm geschrieben, er möchte zum Mittagessen kommen; es fehle mir
heute mittag für eine Dame ein Tischherr. Wollen Sie einmal zusehen, ob ich wohl dringlich genug geschrieben habe,
um ihn zu überreden? Verzeihen Sie, daß ich Sie für einen Augenblick verlasse. Bitte, kleben Sie dann den Brief zu
und schicken Sie ihn ab«, sagte sie noch von der Tür aus; »ich muß noch einiges anordnen.«
Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, setzte sich Anna mit Betsys Briefe an den Tisch und schrieb, ohne ihn zu
lesen, darunter: »Ich muß Sie notwendig sprechen. Kommen Sie in den Wredeschen Park. Ich werde um sechs Uhr da
sein.« Sie klebte den Brief zu, und Betsy, die gerade zurückkam, gab ihn in ihrer Gegenwart einem Diener zur
Beförderung.
Beim Tee, der ihnen auf einem Tischchen in den kühlen kleinen Salon gebracht wurde, entspann sich wirklich
zwischen den beiden Damen a cosy chat, wie es die Fürstin Twerskaja für die Zeit bis zur Ankunft der Gäste
versprochen hatte. Sie hechelten die Personen, die erwartet wurden, durch, und das Gespräch drehte sich besonders
lange um Lisa Merkalowa.
»Sie ist sehr liebenswürdig und ist mir immer sympathisch gewesen«, bemerkte Anna.
»Sie verdient auch Ihre Zuneigung. Sie ist von Ihnen geradezu entzückt. Gestern kam sie nach dem Rennen zu mir
und war in Verzweiflung, Sie nicht mehr anzutreffen. Sie sagte, Sie seien eine richtige Romanheldin, und wenn sie
ein Mann wäre, so würde sie um Ihretwillen tausend Torheiten begehen, Stremow erwiderte ihr, die begehe sie auch so
schon.«
»Aber sagen Sie mir nur, bitte, ich habe das nie verstehen können«, hob Anna nach einer kleinen Pause an, und
zwar in einem Tone, der deutlich erkennen ließ, daß sie nicht eine müßige Frage tat, sondern daß das, wonach sie
fragte, ihr
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