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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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wichtiger war, als es hätte sein sollen, »sagen Sie mir, bitte, von welcher Art ist eigentlich ihr
    Verhältnis zu dem Fürsten Kaluschski oder Mischka, wie er genannt wird? Ich bin beiden in der Gesellschaft nur
    wenig begegnet. Wie steht es damit?«
    Betsy lächelte mit den Augen und blickte Anna scharf an.
    »Das ist so eine neue Mode«, antwortete sie. »Alle unsere Damen haben sich für diese Mode entschieden. Sie
    lassen sich nicht mehr durch engherzige Rücksichten einschränken. Aber dabei kann man freilich sehr verschieden
    verfahren.«
    »Gewiß. Aber von welcher Art sind denn ihre Beziehungen zu Kaluschski?«
    Betsy konnte sich nicht halten und brach plötzlich in ein lustiges Gelächter aus, was bei ihr nur selten
    vorkam.
    »Da pfuschen Sie aber der Fürstin Mjachkaja ins Handwerk. Das ist eine furchtbar kindliche Frage.« Betsy gab
    sich offenbar Mühe, sich zu beherrschen, vermochte es aber nicht und geriet in ein solches unhemmbares Lachen
    hinein, wie es gerade Menschen, die nur selten lachen, eigen ist. »Sie müssen einmal die beiden selbst fragen«,
    sagte sie und lachte dabei so, daß ihr die Tränen kamen.
    »Ja, Sie lachen«, sagte Anna, bei der das Lachen unwillkürlich ansteckend wirkte. »Aber ich habe nie daraus klug
    werden können. Ich verstehe nicht, welche Rolle der Gatte dabei spielt.«
    »Der Gatte? Lisa Merkalowas Gatte trägt ihr den Schal und das Tuch nach und ist immer liebenswürdig und
    dienstfertig gegen sie. Aber was da noch weiter im tieferen Grunde liegt, das begehrt niemand zu wissen. Sie
    wissen, von manchen Einzelheiten der Kleidung spricht man in guter Gesellschaft nicht, ja, man denkt an dergleichen
    nicht einmal. So ist es auch mit solchen Beziehungen.«
    »Werden Sie auf dem Feste bei Rolandakis sein?« fragte Anna, um das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu
    bringen.
    »Ich glaube nicht«, antwortete Betsy und begann, ohne ihre Freundin anzublicken, vorsichtig den duftenden Tee in
    die kleinen, durchschimmernden Tassen zu gießen. Nachdem sie Anna eine Tasse hingeschoben hatte, holte sie eine
    Pajilla hervor, steckte sie in ein silbernes Mundstück und rauchte.
    »Ja, sehen Sie wohl, ich befinde mich in einer glücklichen Lage«, begann sie, indem sie die Tasse in die Hand
    nahm; sie lachte jetzt nicht mehr. »Ich verstehe Sie, und ich verstehe Lisa. Lisa, das ist eine von jenen naiven
    Naturen, die wie die Kinder nicht wissen, was gut und was böse ist. Wenigstens hat sie es nicht gewußt, als sie
    noch sehr jung war. Und jetzt weiß sie, daß dieses Nichtwissen ihr gut steht. Jetzt ist sie vielleicht absichtlich
    unwissend«, sagte Betsy mit feinem Lächeln. »Aber trotzdem steht es ihr gut. Sehen Sie, man kann dieselbe Sache
    herzzerreißend anschauen und sich aus ihr eine Marter machen, und man kann sie auch ganz einfach und sogar von der
    heiteren Seite ansehen. Vielleicht neigen Sie dazu, die Dinge allzu erschütternd aufzufassen.«
    »Wie sehr würde ich wünschen, andere Menschen so genau zu kennen, wie ich mich selbst kenne«, sagte Anna ernst
    und nachdenklich. »Bin ich schlechter als andere oder besser? Ich glaube, schlechter.«
    »Das richtige Kind! Das richtige Kind!« rief Betsy aus. – »Aber da sind sie ja.«
Fußnoten
    1 (frz.) die sieben Weltwunder.
    2 (engl.) Krocketplatz.
    3 (engl.) wir wollen gemütlich miteinander
    plaudern.

18
    Es wurden Schritte und eine Männerstimme hörbar, darauf eine Frauenstimme und Lachen, und gleich darauf traten
    die erwarteten Gäste ein: Sappho Stoltz und ein von Gesundheit strotzender junger Mann, den man Waska zu nennen
    pflegte. Man sah, daß ihm die Ernährung mit halbblutigen Beefsteaks, Trüffeln und Burgunder gut bekam. Waska
    verbeugte sich vor den Damen und blickte sie an, aber nur eine Sekunde. Er war hinter Sappho in den Salon
    eingetreten und ging nun im Salon hinter ihr her, als ob er an sie angebunden wäre, und wandte seine glänzenden
    Augen auch nicht einen Augenblick von ihr ab, wie wenn er sie damit verzehren wollte. Sappho Stoltz war eine
    Blondine mit schwarzen Augen. Sie war mit kleinen, festen Schritten auf den hohen Absätzen ihrer Stiefelchen
    hereingekommen und drückte nun den Damen kräftig, nach Männerart, die Hand.
    Anna war mit dieser neuen Berühmtheit noch nie zusammengetroffen und war nun überrascht sowohl durch ihre
    Schönheit wie auch durch das Auffällige ihrer Kleidung und die Keckheit ihres Benehmens. Auf ihrem Kopfe war aus
    eigenem und fremdem Haar von

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