Anna Karenina
hast so gehandelt, wie du handeln
mußtest. Dafür habe ich durchaus Verständnis; aber du darfst nicht eigensinnig sein. Ich bitte dich nur um carte
blanche 3 . Ich werde dich nicht begünstigen ...
Wiewohl – warum sollte ich dich eigentlich nicht auch begünstigen? Wie oft hast du mich begünstigt! Ich hoffe,
unsere Freundschaft ist über solche Bedenklichkeiten erhaben. Ja«, sagte er und lächelte ihm ordentlich zärtlich,
wie eine Frau, zu. »Gib mir carte blanche und tritt aus dem Regimente aus; dann werde ich dich schon unvermerkt in
das richtige Geleise bringen.«
»Aber so begreife doch nur, daß ich gar kein Verlangen danach habe«, antwortete Wronski. »Mein einziger Wunsch
ist, daß alles bleiben möge, wie es bisher gewesen ist.«
Serpuchowskoi stand auf und stellte sich gerade vor ihn hin.
»Du sagst, alles möge bleiben wie bisher. Ich verstehe, was für ein Sinn dahinter steckt. Aber höre: wir sind
gleichaltrig; vielleicht hast du der Zahl nach mehr Frauen kennengelernt als ich.« Durch sein Lächeln und seine
Handbewegungen gab Serpuchowskoi zu verstehen, Wronski habe nichts zu befürchten; er werde den wunden Punkt nur
ganz zart und vorsichtig berühren. »Aber ich bin verheiratet, und glaube mir (ich habe das auch irgendwo gedruckt
gelesen), wenn man nur seine eigene Frau, die man liebt, kennengelernt hat, so kennt man dadurch die Frauen in
ihrer Gesamtheit besser, als wenn man ihrer Tausende kennengelernt hätte.«
»Wir kommen sofort!« rief Wronski einem Offizier zu, der in das Zimmer hineinblickte und sie zum
Regimentskommandeur rief.
Wronski wollte jetzt gern zu Ende hören, um zu erfahren, was Serpuchowskoi ihm eigentlich zu sagen
beabsichtige.
»Und siehst du, meine Ansicht ist die. Die Frauen sind der hauptsächlichste Stein des Anstoßes für das Wirken
des Mannes. Es ist schwer, ein Weib zu lieben und sich dabei irgendwelcher ernsten Tätigkeit zu widmen. Um wirken
und dabei zugleich behaglich und ungestört lieben zu können, dazu gibt es nur ein Mittel: die Ehe. Wenn ich dir nur
deutlich ausdrücken könnte, was ich meine«, sagte Serpuchowskoi, der gern Bilder und Vergleiche anwendete, »warte
mal, warte mal! Wie man ein fardeau 4 zu tragen und
dabei doch etwas mit den Händen zu tun nur dann imstande ist, wenn das fardeau auf dem Rücken festgebunden ist, so
ist das auch mit der Ehe. Und das habe ich an mir selbst empfunden, als ich mich verheiratet hatte. Auf einmal
waren mir die Hände frei geworden. Aber wenn man ohne Ehe dieses fardeau mit sich umherschleppt, dann hat man beide
Hände so voll, daß man nichts anderes tun kann. Sieh nur Masankow und Krupow an. Sie haben sich um der Weiber
willen ihre ganze Laufbahn verdorben.«
»Aber was waren das auch für Weiber!« rief Wronski, da er an die Französin und an die Schauspielerin dachte, mit
denen die beiden genannten Männer Verhältnisse hatten.
»Die Sache ist um so schlimmer, je fester die Stellung einer Frau in der Gesellschaft ist; um so schlimmer. Das
ist dann so, wie wenn man das fardeau nicht einfach mit den Händen zu tragen hat, sondern es einem andern wegreißen
muß.«
»Du hast nie geliebt«, sagte Wronski leise. Er blickte gerade vor sich hin und dachte an Anna.
»Kann sein. Aber denke an das, was ich dir gesagt habe. Und noch eins: die Frauen haben sämtlich eine
materiellere Anschauungsweise als die Männer. Wir machen uns aus der Liebe ein gewaltiges Ideal; aber sie sind
immer terre à terre 5 .«
»Gleich, gleich!« rief er einem eintretenden Diener zu. Aber der Diener war nicht gekommen, um sie nochmals zu
rufen, wie Serpuchowskoi gedacht hatte. Er brachte einen Brief für Wronski.
»Ein Diener der Fürstin Twerskaja hat dies für Sie gebracht.« Wronski öffnete den Brief und wurde dunkelrot.
»Ich habe Kopfschmerzen bekommen und möchte nach Hause gehen«, sagte er zu Serpuchowskoi.
»Na, also dann auf Wiedersehn! Gibst du mir carte blanche?«
»Wir können später noch darüber reden; ich besuche dich in Petersburg.«
Fußnoten
1 (frz.) Das ist alles Schwindel.
2 (frz.) Das eine ist nicht besser als das
andere.
3 (frz.) Blankovollmacht.
4 (frz.) Bürde, Last.
5 (frz.) auf der Erde.
22
Es war schon zwischen fünf und sechs Uhr; um daher rechtzeitig hinzukommen und dabei doch nicht mit seinen
eigenen Pferden zu fahren, die allen Leuten bekannt waren, setzte sich Wronski in Jaschwins Mietskutsche und befahl
dem Kutscher, so schnell wie irgend möglich zu
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