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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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hierher gekommen?«
    »Das ist ja unerheblich«, antwortete sie und legte ihre Hand in seinen Arm. »Laß uns gehen; ich muß mit dir
    sprechen.«
    Er merkte, daß etwas vorgefallen sein mußte und daß dieses Zusammensein kein freudiges sein werde. Sobald er bei
    ihr war, hatte er keinen eigenen Willen; ohne den Grund ihrer Aufregung zu kennen, fühlte er bereits, daß sich
    dieselbe Aufregung unwillkürlich auch ihm mitteilte.
    »Was gibt es denn? So sprich doch!« bat er; er drückte mit dem Ellbogen ihren Arm und versuchte, ihr die
    Gedanken vom Gesichte abzulesen.
    Schweigend ging sie noch einige Schritte, um Mut zu sammeln; dann blieb sie plötzlich stehen.
    »Ich habe dir gestern nicht gesagt«, begann sie, schnell und mühsam atmend, »daß ich, als ich mit Alexei
    Alexandrowitsch nach Hause zurückfuhr, ihm alles mitgeteilt habe; ... ich habe ihm gesagt, daß ich nicht länger
    seine Gattin sein kann und daß ... Ich habe ihm alles gesagt.«
    Er hörte ihr zu und neigte sich dabei unwillkürlich mit dem ganzen Oberkörper zu ihr herunter, als wollte er ihr
    dadurch das Drückende ihrer Lage erleichtern. Aber sobald sie das gesagt hatte, richtete er sich plötzlich auf, und
    sein Gesicht nahm einen stolzen, festen Ausdruck an.
    »Ja, ja, das ist das beste, bei weitem das beste!« rief er. »Ich verstehe, wie schwer dir das werden mußte.«
    Aber sie hörte nicht auf seine Worte, sie suchte seine Gedanken an dem Ausdruck seines Gesichtes zu erkennen. Sie
    konnte nicht wissen, daß dieser Ausdruck seines Gesichtes mit dem ersten Gedanken zusammenhing, der ihm bei ihrer
    Mitteilung gekommen war, mit dem Gedanken, daß jetzt ein Duell unausbleiblich sei. Ihr selbst war der Gedanke an
    ein Duell überhaupt nie in den Sinn gekommen, und daher faßte sie diesen augenblicklichen Ausdruck strengen Ernstes
    ganz anders auf.
    Schon nachdem sie den Brief ihres Mannes erhalten hatte, war sie im tiefsten Grunde der Seele überzeugt gewesen,
    daß alles beim alten bleiben werde, daß sie nicht die Kraft haben werde, ihre gesellschaftliche Stellung einfach
    aufzugeben, auf ihren Sohn zu verzichten und mit ihrem Liebhaber zusammen zu leben. Bei dem Besuche, den sie am
    Vormittag der Fürstin Twerskaja gemacht hatte, war diese innere Überzeugung bei ihr noch fester geworden. Aber eine
    Zusammenkunft mit Wronski war ihr trotzdem außerordentlich wichtig erschienen. Sie hatte gehofft, diese
    Zusammenkunft würde in seiner und ihrer Lage eine Änderung herbeiführen und ihr Rettung bringen. Wenn er bei dieser
    Mitteilung entschlossen, leidenschaftlich und, ohne einen Augenblick zu schwanken, zu ihr sagte: »Laß alles im
    Stich und geh mit mir davon!« dann war sie willens, ihren Sohn zu verlassen und ihm zu folgen. Aber nun hatte diese
    Mitteilung nicht so gewirkt, wie sie es erwartet hatte; vielmehr hatte Anna nur den Eindruck, daß er sich durch
    irgend etwas verletzt fühle.
    »Schwer ist es mir keineswegs geworden. Es machte sich ganz von selbst«, sagte sie in gereiztem Tone, »und hier
    ...« Sie holte den Brief ihres Mannes aus dem Handschuh hervor.
    »Ich verstehe, ich verstehe«, unterbrach er sie und nahm den Brief hin; aber er las ihn nicht, da er vor allem
    sie zu beruhigen wünschte. »Das war das einzige, das ich wünschte, um das ich dich bat, daß du diese Fesseln
    zerreißen möchtest, damit ich mein Leben ganz deinem Glücke weihen kann.«
    »Warum sagst du mir das?« erwiderte sie. »Kann ich denn daran zweifeln? Wenn ich daran zweifelte ...«
    »Wer kommt da?« sagte Wronski plötzlich und wies auf zwei Damen, die ihnen entgegenkamen. »Vielleicht kennen sie
    uns!« Er bog schnell, sie mit sich ziehend, in einen Seitenweg ein.
    »Ach, mir ist alles gleich!« versetzte sie. Ihre Lippen zitterten, und es kam ihm vor, als ob ihn ihre Augen
    durch den Schleier mit seltsamem Ingrimm anblickten. »Also ich wollte sagen: darum handelt es sich nicht; daran
    kann ich ja nicht zweifeln. Aber sieh nur, was er mir schreibt. Lies doch!« Sie blieb wieder stehen.
    Wieder, ganz wie im ersten Augenblicke bei der Nachricht, daß sie mit ihrem Manne gebrochen habe, gab sich
    Wronski beim Lesen des Briefes unwillkürlich jener natürlichen Vorstellung hin, die sein Verhältnis zu dem
    beleidigten Gatten bei ihm erweckte. Während er jetzt seinen Brief in der Hand hielt, sagte er sich, daß er
    wahrscheinlich heute oder morgen in seiner Wohnung die Forderung vorfinden werde, und stellte sich das Duell vor,
    bei dem er mit

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