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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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fahren. Die alte viersitzige Mietskutsche war sehr geräumig; er
    setzte sich in eine Ecke, legte die Beine auf den Vordersitz und überließ sich seinen Gedanken.
    Ein dunkles Bewußtsein, daß er seine Geldangelegenheit ins klare gebracht hatte, eine dunkle Erinnerung an das
    freundschaftliche Benehmen und die schmeichelhaften Äußerungen Serpuchowskois, der ihn als einen Mann betrachtete,
    den der Staat notwendig brauche, und vor allem die Spannung auf das bevorstehende Stelldichein: alles floß bei ihm
    zu dem allgemeinen Gefühle der Lebensfreude zusammen. Dieses Gefühl war so stark, daß er unwillkürlich lächelte. Er
    nahm die Beine von dem Sitze herunter, legte das eine auf das Knie des andern, befühlte die straffe Wade des
    Beines, das er sich gestern bei dem Sturze verletzt hatte, lehnte sich dann zurück und seufzte mehrmals mit ganzer
    Brust.
    ›Gut, sehr gut!‹ sagte er zu sich selbst. Auch früher war er sich oft der Gesundheit und Kraft seines Körpers
    mit lebhafter Freude bewußt gewesen; aber noch niemals hatte er sich selbst, seinen Körper, so geliebt wie gerade
    jetzt. Es machte ihm Vergnügen, diesen leichten Schmerz in dem kräftigen Beine zu empfinden; es machte ihm
    Vergnügen, die Bewegungen seiner Brustmuskeln beim Atmen zu fühlen. Derselbe klare, kalte Augusttag, der dazu
    beitrug, Anna in eine hoffnungslose Stimmung zu versetzen, wirkte auf ihn ermunternd und belebend und erfrischte
    ihm Gesicht und Hals, die ihm von dem Übergießen mit Wasser brannten. Der Geruch der Brillantine in seinem
    Schnurrbart war ihm in dieser frischen Luft besonders angenehm. Alles, was er durch das Wagenfenster sah, alles
    erschien ihm in dieser kalten, reinen Luft, in dieser blassen Abendbeleuchtung ebenso frisch, heiter und kräftig,
    wie er selbst es war: die Hausdächer, die in den Strahlen der sinkenden Sonne glänzten, und die scharfen Umrisse
    der Zäune und Gebäude und die Gestalten der ihm ab und zu begegnenden Fußgänger und Geschirre und das von keinem
    Lufthauche bewegte grüne Laub der Bäume und Gras der Wiesen und die Kartoffelfelder mit den regelmäßig gezogenen
    Furchen und die schrägen Schatten, welche die Häuser und die Bäume und die Sträucher und sogar die erhöhten
    Streifen zwischen den Furchen der Kartoffelfelder warfen, alles war so hübsch wie ein nettes Landschaftsgemälde,
    das soeben fertiggestellt und lackiert ist.
    »Fahr tüchtig zu!« rief er, sich aus dem Fenster beugend, dem Kutscher zu und reichte ihm, als er sich umwandte,
    einen Dreirubelschein, den er schon vorher aus der Tasche geholt hatte. Die Hand des Kutschers tastete nach der bei
    der Wagenlaterne steckenden Peitsche; ein energischer Hieb klatschte, und der Wagen rollte schnell auf der ebenen
    Chaussee dahin.
    ›Nichts brauche ich weiter als dieses Glück, nichts weiter‹, dachte er. Er blickte dabei nach dem knöchernen
    Klingelgriff in dem Zwischenraum zwischen den beiden Vorderfenstern und vergegenwärtigte sich Anna in der Gestalt,
    wie er sie das letztemal gesehen hatte. ›Und ich liebe sie je länger, je mehr. Da ist ja auch der Park, wo die
    Hofdame ihre Dienstwohnung hat. Wo ist denn Anna? Wo denn? Und warum hat sie die Zusammenkunft hier anberaumt, und
    warum schreibt sie in einem Briefe Betsys?‹ Erst jetzt fiel ihm dies ein; aber er hatte keine Zeit mehr zum
    Nachdenken. Er hieß den Kutscher halten, noch ehe sie die Allee erreicht hatten, öffnete den Schlag, sprang noch im
    Fahren aus dem Wagen und ging in die Allee, die nach dem Hause führte. In der Allee war niemand; aber als er nach
    rechts schaute, erblickte er Anna. Ihr Gesicht war mit einem Schleier bedeckt; aber mit freudigem Blicke umfaßte er
    die besondere, ihr allein eigene Bewegung beim Gehen, die Neigung der Schultern und die Haltung des Kopfes und
    hatte in demselben Augenblicke die Empfindung, als ob ihm ein elektrischer Schlag durch den Körper ginge. Von neuem
    wurde er sich seiner eigenen Kraft und Gesundheit bewußt, von den federnden Bewegungen der Beine bis zu den
    Bewegungen der Lunge beim Atmen und er hatte ein Gefühl, wie wenn ihm etwas die Lippen kitzelte.
    Als sie beieinander waren, drückte sie ihm kräftig die Hand.
    »Du bist doch nicht böse, daß ich dich hergebeten habe? Ich mußte dich unbedingt sehen«, sagte sie, und der
    ernste Zug um ihre Lippen, den er durch den Schleier hindurch sah, veränderte mit einem Schlage seine
    Seelenstimmung.
    »Wie könnte ich böse sein! Aber wie bist du gerade

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