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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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befriedigte, und ging
    zu dem Rechtsanwalt hinein.
    Alexei Alexandrowitsch billigte grundsätzlich das öffentliche Gerichtsverfahren; nur gewisse Einzelheiten in
    seiner praktischen Anwendung bei uns in Rußland hatten, mit Rücksicht auf höhere, ihm wohlbekannte dienstliche
    Verhältnisse, nicht seinen vollen Beifall, und er mißbilligte diese Einzelheiten, soweit er imstande war, etwas,
    was die allerhöchste Bestätigung gefunden hatte, zu mißbilligen. Sein ganzes Leben lang war er auf dem
    Verwaltungsgebiete tätig gewesen; so oft es daher vorkam, daß er etwas mißbilligte, wurde sein Mißvergnügen
    gemildert durch die Erwägung, daß Fehler bei allen Dingen unvermeidlich seien, immer aber die Möglichkeit einer
    Verbesserung vorliege. An der neuen Gerichtsordnung mißbilligte er die Stellung, die dem Anwaltsstande zugewiesen
    war. Aber bisher hatte er mit Rechtsanwälten noch nichts zu schaffen gehabt, und daher war seine Mißbilligung nur
    theoretisch gewesen; jetzt jedoch wurde diese Mißbilligung noch verstärkt durch den unangenehmen Eindruck, den er
    in dem Wartezimmer des Rechtsanwaltes empfangen hatte.
    »Der Herr Rechtsanwalt wird sogleich herauskommen«, meldete der Schreiber, und wirklich erschien nach zwei
    Minuten in der Tür die lange Gestalt eines bejahrten juristischen Kollegen, der mit dem Rechtsanwalt verhandelt
    hatte, und die Gestalt des Rechtsanwaltes selbst.
    Der Rechtsanwalt war ein kleiner, stämmiger, kahlköpfiger Mann mit dunklem, rötlich schimmerndem Barte, hellen,
    langhaarigen Brauen und vorstehender Stirn. Geputzt war er, wie wenn er auf die Freite ging, von der Krawatte und
    der doppelten Uhrkette bis zu den Lackstiefeln. Sein Gesicht trug einen Ausdruck von Klugheit und plebejischer
    Verschmitztheit; aber der Anzug war geckenhaft und zeugte von schlechtem Geschmack.
    »Bitte, näher zu treten«, sagte der Rechtsanwalt, zu Alexei Alexandrowitsch gewendet. Mit finsterer Miene ließ
    er ihn an sich vorbeigehen und machte dann die Tür zu. »Wenn es gefällig ist?« Er wies auf einen Lehnsessel neben
    dem mit Papieren bedeckten Schreibtische, nahm selbst auf einer Art von Präsidentensitz Platz, rieb sich die
    kleinen Hände, deren kurze Finger mit weißen Haaren bewachsen waren, und neigte den Kopf auf die Seite. Aber kaum
    war er in dieser Haltung zur Ruhe gekommen, als über dem Tische eine Motte vorbeiflog. Mit einer Geschwindigkeit,
    die man gar nicht von ihm hätte erwarten können, machte der Rechtsanwalt die Arme auseinander, fing die Motte und
    nahm wieder seine frühere Haltung ein.
    »Bevor ich anfange, meine Angelegenheit darzulegen«, begann Alexei Alexandrowitsch, der erstaunt die Bewegungen
    des Rechtsanwaltes mit den Augen verfolgt hatte, »muß ich bemerken, daß die Angelegenheit, über die ich mit Ihnen
    sprechen möchte, Geheimnis bleiben muß.«
    Ein kaum merkbares Lächeln ließ den rötlichen, herabhängenden Schnurrbart des Rechtsanwaltes ein wenig
    auseinandergehen.
    »Ich wäre kein Rechtsanwalt, wenn ich nicht imstande wäre, die mir anvertrauten Geheimnisse zu bewahren. Aber
    wenn Sie die ausdrückliche Versicherung wünschen ...«
    Alexei Alexandrowitsch blickte ihm ins Gesicht und sah, daß die klugen grauen Augen lachten; sie machten den
    Eindruck, als hätten sie schon alles durchschaut.
    »Sie kennen meinen Namen?« fuhr Alexei Alexandrowitsch fort.
    »Ich kenne Sie und Ihre verdienstvolle (wieder fing er eine Motte) Tätigkeit wie jeder Russe«, versetzte der
    Rechtsanwalt mit einer Verbeugung.
    Aufseufzend nahm Alexei Alexandrowitsch seinen Mut zusammen. Aber da er sich nun einmal dazu entschlossen hatte,
    fuhr er mit seiner dünnen, schrillen Stimme fort, ohne Verlegenheit, ohne zu stocken, mit besonderer Betonung
    einzelner Worte.
    »Ich habe das Unglück«, begann er, »ein betrogener Ehemann zu sein, und wünsche die Beziehungen zu meiner Frau
    in gesetzlicher Form zu lösen, das heißt, mich von ihr scheiden zu lassen, aber so, daß der Sohn nicht der Mutter
    verbleibt.«
    Die grauen Augen des Rechtsanwaltes bemühten sich, nicht zu lachen; aber sie hüpften förmlich in unhemmbarer
    Freude, und Alexei Alexandrowitsch sah, daß dies nicht etwa nur die Freude darüber war, einen gewinnbringenden
    Auftrag zu erhalten; nein, das war ein Triumphieren, ein Frohlocken, ein Aufleuchten, ähnlich jenem häßlichen
    Aufleuchten, das er manchmal in den Augen seiner Frau gesehen hatte.
    »Sie wünschen meine Mitwirkung zur Durchführung der

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