Anna Karenina
hatte fortwährend
die Empfindung wie jemand, der sich von weitem an dem Anblick eines sanft und glücklich dahinfahrenden Kahnes
ergötzt hat, nun selbst in diesen Kahn eingestiegen ist. Da sieht er denn, daß es keineswegs genügt, still und ohne
zu schaukeln dazusitzen, sondern daß er auch den Umständen gemäß selbst handeln muß, daß er keinen Augenblick des
Zieles seiner Fahrt uneingedenk sein darf, und daß sich unter seinen Füßen Wasser befindet, und daß er rudern muß,
und daß das ungewohnten Händen weh tut, und daß das zwar sehr leicht anzusehen, aber, wenn es auch sehr viel Freude
macht, doch recht schwer zu tun ist.
Oft, wenn er als Junggeselle auf das Eheleben anderer Leute hingeblickt hatte, auf die kleinlichen Sorgen, die
Streitigkeiten, die Eifersüchteleien, dann hatte er im stillen nur geringschätzig gelächelt. In seinem eigenen
künftigen Eheleben konnte seiner festen Überzeugung nach nichts Derartiges vorkommen; ja er war der Meinung
gewesen, auch die gesamten äußeren Formen des Ehelebens würden bei ihm mit Notwendigkeit in allen Stücken ganz
anders sein. Und statt dessen gestaltete sich nun sein eigenes Zusammenleben mit seiner Frau zu seiner Überraschung
ganz und gar nicht in irgendwelcher besonderen Weise; im Gegenteil, sein ganzes Eheleben setzte sich aus denselben
nichtigen Kleinigkeiten zusammen, die er früher so geringgeschätzt hatte, die aber jetzt, ganz gegen seinen Willen,
eine außerordentliche, unbestreitbare Bedeutung erlangt hatten. Und Ljewin sah, daß die richtige Erledigung aller
dieser Kleinigkeiten durchaus nicht so leicht war, wie er sich das gedacht hatte. Obgleich er gemeint hatte, die
zutreffendsten Begriffe vom Eheleben zu haben, hatte er sich, wie alle Männer, die Vorstellung gemacht, dieses
bestehe lediglich darin, daß man sich dem Genusse seiner Liebe hingebe, den nichts beeinträchtigen dürfe und von
dem man sich durch kleinliche Sorgen nicht dürfe ablenken lassen. Er würde, so hatte er sich das ausgemalt, zuerst
seine Arbeit verrichten und sich dann in den Armen der Liebe davon erholen. Seine Gattin aber würde nur die eine
Aufgabe haben, sich lieben zu lassen. Aber wie alle Männer hatte er vergessen, daß auch sie werde arbeiten müssen.
Und er war ganz erstaunt, daß sie, diese poetische, reizende Kitty, gleich in den ersten Wochen, ja gleich in den
ersten Tagen ihres Ehelebens es fertigbrachte, an Tischtücher, an Möbel, an Matratzen für die Fremdenstuben, an ein
Präsentierbrett, an den Koch, an das Mittagessen und ähnliche Dinge zu denken und all so etwas zu überlegen und zu
besorgen. Schon als er noch Bräutigam war, hatte ihn die Bestimmtheit überrascht, mit der sie eine Reise ins
Ausland ablehnte und sich dafür aussprach, gleich nach dem Gute überzusiedeln, als wüßte sie schon Bescheid, was
nötig sei; wie hatte sie nur außer an ihre Liebe auch noch an andere Dinge denken können! Das hatte ihn damals
gekränkt, und auch jetzt verletzte sie ihn manchmal durch ihre kleinlichen Sorgen und Geschäfte. Aber er sah, daß
ihr das ein Herzensbedürfnis war. Und obwohl er nicht recht verstand, wozu diese eifrige Tätigkeit nötig und nütze
sei, und sich darüber lustig machte, so konnte er doch, da er seine Frau liebte, nicht umhin, auf ihre Tätigkeit
mit Freude und Bewunderung zu blicken. Er machte sich darüber lustig, wie eifrig sie die aus Moskau mitgebrachten
Möbel aufstellte, wie sie ihr Zimmer und das seinige neu einrichtete, wie sie die Gardinen aufhängte, wie sie die
künftigen Fremdenzimmer und das Zimmer für Dolly zurechtmachte, wie sie für ihre Kammerjungfer eine Stube
ausstattete, wie sie dem alten Koch Anweisungen für das Mittagessen gab und wie sie sich in längere
Auseinandersetzungen mit Agafja Michailowna einließ, der sie die Verwaltung der Vorratskammer abnehmen wollte. Er
sah, daß der alte Koch lächelte und sie mit Wohlgefallen betrachtete, während er ihre ungeschickten, unmöglichen
Befehle anhörte; er sah, daß Agafja Michailowna über die neuen Anordnungen der jungen Herrin wegen der
Vorratskammer bedenklich und freundlich den Kopf schüttelte; er sah, daß Kitty ganz allerliebst war, wenn sie
lachend und weinend zu ihm kam, um sich darüber zu beklagen, daß die Kammerjungfer Mascha immer noch gewohnt sei,
sie als das junge Fräulein zu betrachten, und ihr daher niemand recht folgen wolle. All das schien ihm so lieb und
nett, aber doch wunderlich, und er
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